Pharoah Sanders

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  • #41225  | PERMALINK

    flatted-fifth
    Moderator

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    Entweder spielt mir die Suchfunktion einen Streich, oder dieser großartige Tenorsaxophonist hat in der Tat noch keine Erwähnung in diesem Forum gefunden.

    Inspiriert durch aktuelle DJ-Sets (u.a. von Henrik Schwarz und Gilles Peterson), die Pharoah Sanders neuerdings in ihr Programm aufnehmen, bin ich neugierig geworden und habe mir ein paar Alben des ehemaligen Coltrane-Fellows besorgt. „Karma“, laut allmusic sein bestes Werk, lief nun den ganzen Nachmittag bei mir im Player und ich war erwartungsgemäß begeistert von dieser hochenergetischen und spirituellen Spielweise, wie ich sie bisher nur von Coltrane selbst kannte (seine Frau Alice sowie Sun Ra sind für mich auch noch zu entdecken, sonst hätte ich sie schon genannt). Jetzt nehme ich mir gerade „Tauhid“ vor, Sanders Impulse-Debüt. Erster Eindruck: Noch ein wenig verhaltener als „Karma“ und überraschend eingängig. Bevor ich mich mit meiner Wahl auf den Holzweg begebe, was ist sonst noch empfehlenswert von Pharoah Sanders, was sollte man meiden und welche Sideman-Alben muss man haben?

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    You can't fool the flat man!
    Highlights von Rolling-Stone.de
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    #5574977  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

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    auch wenn es verlockend ist, er heisst „Pharoah“

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    #5574979  | PERMALINK

    flatted-fifth
    Moderator

    Registriert seit: 02.09.2003

    Beiträge: 6,027

    Dick Laurentauch wenn es verlockend ist, er heisst „Pharoah“

    You’re right. Freud’sche Fehlleistung von mir. Bei diesem ganzen Spiritualismus kommt man schon mal durcheinander… Sorry.

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    You can't fool the flat man!
    #5574981  | PERMALINK

    atom
    Moderator

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    Da du bereits Gefallen an seinen frühen Impulse! Platten hast, wirst du mit seinen Einspielungen bis „Black Unity“ nichts falsch machen. In späteren Jahren und besonders auf seinen Quartett Einspielungen wie etwa „Africa“ oder „Welcome To Love“ wird er Coltrane immer ähnlicher, was auf den ersten Blick sehr faszinierend, auf den zweiten Blick aber etwas eintönig wird.

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    Hey man, why don't we make a tune... just playin' the melody, not play the solos...
    #5574983  | PERMALINK

    asdfjkloe

    Registriert seit: 07.07.2006

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    außer den von Dir genannten müßte ich als Liebhaber der Musik von Sanders fast alles empfehlen, doch ganz speziell lege ich an’s „Sammlerherz“:

    PHAROAH‘ S FIRST
    JEWELS OF THOUGHT
    DEAF DUMB BLIND SUMMUN BUKMUN UMYUN
    THEMBI
    PHAROAH SANDERS LIVE AT THE EAST
    AFRICA
    OH LORD, LET ME DO NO WRONG
    MOONCHILD
    WELCOME TO LOVE
    Franklin Kiermyer featuring Pharoah Sanders: SOLOMON’S DAUGHTER
    CRESCENT WITH LOVE

    als sideman:

    Alice Coltrane – A Monastic Trio 1968
    Sonny Sharrock – Ask the ages 1991
    Randy Weston – The Spirits of Our Ancestors 1991
    Kahil el Zabar’s Ritual Trio – Africa N’da Blues 1999

    Zwischen ca. 1979 und 1987 erschienen relativ schwache Alben…

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    #5574985  | PERMALINK

    vega4

    Registriert seit: 29.01.2003

    Beiträge: 8,667

    Als Sideman würde ich aus aktuellen Anlass noch „Kenny Garrett – Beyond the wall“ empfehlen. Diese Platte belegte immerhin den 3. Platz der Jahrescharts von Jazzthing. Neben Sanders ist auch noch Bobby Hutcherson zu hören. Wirklich eine sehr schöne Einspielung!

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    Der Teufel ist ein Optimist, wenn er glaubt, dass er die Menschen schlechter machen kann. "Fackel" - Karl Kraus
    #5574987  | PERMALINK

    captain-kidd

    Registriert seit: 06.11.2002

    Beiträge: 4,140

    Finde ja „Journey to the one“ toll. Ist aus den 70ern oder so. Schöne Melodien, Energie und noch mehr Zauberkram.

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    Do you believe in Rock n Roll?
    #5574989  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,994

    Ich hole diesen Thread mal aus der Versenkung – wir hatten ja in der Folge von bichos 1969er Bestenliste schon eine kleine Diskussion… habe mal meine Pharoah CDs hervorgekramt, die da sind: „Tauhid“, „Karma“, „Jewels of Thought“, „Summun, Bukmun, Umyun“, „Thembi“ und „Black Unity“. Zudem habe ich einen Vinyl-Rip von „Live at the East“, und meine Liste konsultierend merke ich gerade, dass ich mir auch noch aus der Originals-Reihe den Reissue von „Elevation“ geholt habe (und ich glaub ich weiss sogar, wo die CD grad herumliegt!)…

    Über Sanders‘ Aufnahmen mit John Coltrane habe ich schon im ChronoTrane-Thread ausführlich berichtet, und zwar ab hier. Ich habe dort schon meine Ansicht kundgetan, dass ich Sanders‘ Impulse-Alben nicht für annähernd so toll halte wie die Alben, die Coltane mit ihm gemacht hat. Ich glaube kaum, dass ich diese Ansicht grundlegend ändern werde, aber ich mach mich mal wieder hinter meine Sanders CDs!

    David Rosenthal, one of the first writers to explore Sanders‘ work, wrote in the British Jazz Journal: „High shrill tones in the upper register combine with lower growls to give the effect of a piercing scream which lifts the listener right out of his seat with its intensity and power.“
    That degree of intensity and power is evident in parts of the music here, but there is also a lyricism that may surprise those listeners who tend to categorize too quickly and thereby miss the depth of lyricism in the new jazz.
    […]
    Returning to that kind of emotion which can be called lyrical, a primary reason for its presence in Pharoah Sanders‘ work is his concern with music as a way to express – and simultaneously to create – what he terms spiritual experience. (For Sanders, I think this definition of „spiritual“ is most relevant: „concerned with the needs and faculties of the soul, not materialistic.“)
    In talking specifically about this album, Sanders emphasized that the kind of experience he is trying to achieve in this set pervades both sides, and therefore „you have to listen to both sides to get the whole picture.“ At base, Sanders adds, „my music has to do with my beliefs and with the way I live every day.“ One thing in which he believes is the perfectibility of man, and so Sanders is working toward a way of life in which he can transcend materialistic preoccupations. „I feel I’m closest to Hell,“ he says, „when I’m thinking about money.“ His goal is to discover more and more about who he is and what his capacities are within the context of a spiritual life. „The more I can find out about myself,“ he continues, „the more I know about what is, what the roots of existence are, because God is man and man is God.“
    Sanders‘ religion is not in the least sectarian. „I believe in all religions,“ he declares, „so long as they’re talking about one Creator.“

    ~ Nat Hentoff (1967), aus den Liner Notes zu „Pharoah Sanders – Tauhid“, Impulse AS-9138

    Damit erfasst Hentoff wohl die wesentlichsten Elemente von Sanders‘ früher Musik – die lyrische Seite kam in den Aufnahmen mit Coltrane eher selten zum Vorschein, allerdings bläst er auf „Naima“ (vom 1966 eingespielten „Live at the Village Vanguard Again“) ein grossartiges Solo.

    Die Musik auf „Tauhid“ ist nach den Aufnahmen mit Coltrane eher enttäuschend, erreicht nie diese brennende Intensität, weder als Ganzes noch was Sanders‘ Spiel betrifft. Die Ethno-Sounds sind schon hier zu hören, Nathaniel Bettis, der in den nächsten Jahren immer wieder mit Sanders aufnehmen sollte, ist als Perkussionist anwesend, und Sanders setzt auch seine Stimme ein.
    Das spannendste finde ich die Texturen, die Sonny Sharrock mit seiner Gitarre schafft, und wie die sich mit Dave Burrells Piano und Henry Grimes starkem Bass mischen. Sanders steuert aber selber auch ein paar sehr tolle Soli bei – allerdings will mich das ganze auch beim dritten heutigen Durchgang nicht so richtig überzeugen.

    Eine Sternstunde von Leon Thomas (wie redbeans hier fand) mag das in der Tat sein… sein Gesang überzeugt sehr. Insgesamt wirkt das Album (von 1969) stärker aus einem Guss (was bei einem 33 minütigen Stück und einem kurzen Post Scriptum auch wenig wundert), Sanders hat ein paar sehr starke Moment und auch das ganze Getrommel, Gesinge und Gesumme passt hier besser. Dennoch (auch hier gewährte ich drei Durchgänge) schweife ich im Verlauf des Albums immer wieder ab, es fesselt mich nicht wirklich, mäandriert etwas zu stark… ganz böse könnte man von Ethno-Smooth-Jazz reden… die Tendenz Sanders‘ ist jedenfalls angebahnt und sollte in den nächsten Alben weiter in diese Richtung getrieben werden. Und „Karma“ bleibt wohl eins der besten Alben von Sanders. Erwähnenswert ist auch das Bassspiel von Reggie Workman (auf beiden Stücken), Richard Davis (auf dem langen Stücke) und Ron Carter (auf dem kurzen Stück).

    „Jewels of Thought“ wurde Ende 1969 eingespielt, die Band ist etwas kleiner geworden (Spauldings Flöte und Watkins‘ Horn sind weg), Lonnie Liston Smith spielt noch immer Piano und Leon Thomas ist wieder mit dabei. Am Bass überzeugen dieses Cecil McBee und Richard Davis (nur auf dem zweiten Stück), derweil die grösste Änderung in den dichteren, zugleich freieren aber auch groovenderen Rhythmen liegt, die Idris Muhammad und Roy Haynes (nur auf dem ersten Stück) hier legen – unterstützt zeitweise von Sanders, Smith, Thomas und den Bassisten, die alle auch Perkussioninstrumente spielen, Sanders spielt zudem Glocken, er und Smith auch die Mbira, mit der für einmal genuin afrikanische Klänge in der Musik auftauchen.
    Das erste Stück mit Leon Thomas geht trotz seiner Viertelstunde Dauer erstaunlich rasch vorüber, Thomas bietet eine Art Sing-Sang dar (ein Art Gebet an Allah wohl, der Titel lautet jedenfalls „Hum-Allah-Hum-Allah-Hum Allah“), der Groove macht Spass, Sanders steuert ein schroffes kurzes Solo bei. Hab ich schon erwähnt, dass der Groove absolut mitreissend ist? ;-)
    Das zweite Stück, „Sun in Aquarius“, beginnt mit einer langen, donnernden Passage, in der Lonnie Listen Smith wilde Arpeggi ins Piano hämmert, derweil die anderen mit diversen Perkussionsinstrumenten beschäftigt sind. Die Bässe scheinen irgendwo auch noch präsent zu sein… und dann tritt Sanders auf, mit einem frenetisch kreischenden Solo, intensiv wie zu den besten Zeiten mit Coltrane, aber irgendwie dünn aufgenommen im ganzen Klangmus (Recording Engineer in den Plaza Sound Studios in NYC war ein gewisser George Sawtelle – ihm war das ganze offensichtlich etwas zu viel). Nach zehn Minuten öffnet sich die Musik plötzlich, Smith spielt harfen-ähnliche Auf-und-ab-Läufe, klimpert fröhlich vor sich hin, rhyhtmisch bleibt das ganze frei (und etwas unverbindlich). Nach nochmal zwei Minuten folgt dann der Groove, immer noch gestört durch die Rasseln und Ratschen, bevor Muhammad sich dann am Drumkit langsam durchsetzt… jetzt scheint die Sonne, Sanders bläst sein simplifiziertes Trane-Melodiechen, Thomas beginnt mitzusingen und weiss ähnlich zu gefallen wie in „Karma“… aber es wird auch alles wieder etwas belanglos (und Roy Haynes‘ Getrommel fehlt!). Die Bass-Passage rettet allerdings so manches wieder – und nach 21 Minuten folgt dann Sanders mit einem grossartigen Solo. Am Ende plempert’s dann aber wieder melodieseelig aus… ein Album mit schönen Momenten, das mich als Weiterentwicklung des Konzeptes von „Karma“ allerdings tententiell eher etwas weniger überzeugt als dieses.
    Liner Notes sucht man übrigens vergeblich, schon bei „Karma“ wurden lediglich die Texte der Stücke abgedruckt, bei „Jewels“ gibt’s gar nichts mehr – wohl gemäss dem (Coltrane’schen?) Diktum „the music speaks for itself“.

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #5574991  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
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    Registriert seit: 25.01.2010

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    1970 folgte der nächste Streich Death Dumb Blind… wieder zwei lange Tracks, „Summun, Bukmun, Umyun“, das Titelstück, das wieder mit afrikanischer Perkussion beginnt (Nat Bettis und Anthony White). Die grossen Änderungen sind aber, dass Sanders kein Tenorsax spielt, stattdessen Sopransax (sowie cow horn, tritone whistle, cowbells, wood flute, mbira und percussion – das Instrumentarium liest sich mittlerweile schon fast wie beim Art Ensemble) und dass mit Woody Shaw und Gary Bartz gleich zwei weitere Bläser dazugestossen sind. Mit Lonnie Liston Smith und Cecil McBee sind neben Neuankömmling Clifford Jarvis zwei alteingesessene Gefährten dabei.
    Als Liner Notes gibt’s hier einen ziemlich suspekten religiösen Text, der die Titelmetapher aufgreift und in Gut und Böse unterteilt… nun ja… Jameelah Ali hat die Notes geschrieben (über Google kann ich über ihn nichts herausfinden).
    Die Musik plätschert gefällig, McBee legt einen satten Boden, die Perkussion klingt eingespielter und routinierter als zuvor, die Musik groovt und bleibt auch in den dissonanten Call-and-Responses und kollektiven Passagen der Bläser immer geerdet. Die Musik ist hier sehr viel schöner abgemischt, die Bläser sind allerdings stark im Hintergrund gehalten – wohl absichtlich. Bartz, Shaw und auch Sanders am Sopran vermögen zu überzeugen.
    Das zweite Stück heisst „Let Us Go Into the House of the Lord“ und ist ein lyrischer Hymnus in der Coltrane-Tradition. Jarvis trommelt zurückhaltend freie Fills über einen Teppich, den Smith und McBee (mit Bogen) mit den Perkussionsinstrumenten (zu denen hier auch Shaw und Bartz stossen) weben. Sanders präsentiert das Thema sehr getragen, mit schönem Ton auf dem Sopran. In der Mitte verstummt das Stück beinahe und McBee übernimmt mit einem wunderschönen Arco-Solo. Dann kehrt Sanders zurück, noch hymnischer und singender als zuvor – sehr schön!
    Dieses Album überzeugt mich jedenfalls deutlich mehr als „Jewels of Thought“. Und es gefällt mir – so hab ich mich anderswo auch schon mal geäussert, glaube ich – vielleicht sogar eine Spur besser als „Karma“ – werde es morgen bestimmt noch einmal anhören!

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    #5574993  | PERMALINK

    udw
    so little gets done

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    Beiträge: 3,284

    gypsy tail windIn der Mitte verstummt das Stück beinahe und McBee übernimmt mit einem wunderschönen Arco-Solo. Dann kehrt Sanders zurück, noch hymnischer und singender als zuvor – sehr schön!

    Oh ja, eine wirklich wundervolle Stelle, bei der es mir jedesmal kalt den Rücken herunterläuft. Als ob die Welt für einen kurzen Moment verstummt.

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    so little is fun
    #5574995  | PERMALINK

    newk

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    Sehr treffende Beschreibungen Gypsy, Tauhid und Karma sehe ich ähnlich zwiespältig.
    Gerade habe ich zufälligerweise einen Essay von Bill Shoemaker gelesen in dem er Folgendes schreibt:
    „Der Tod John Coltranes und Albert Aylers hatte ein Vakuum hinterlassen, und nur wenige der Glanzlichter der 60er Jahre zeigten neue Wege auf. Pharoah Sanders war zu einem Rattenfänger mit einschläfernden Zwei-Akkord-Stücken geworden.“
    (http://www.fmp-label.de/freemusicproduction/texte/2010d_shoemaker.html)

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    #5574997  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
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    UDWOh ja, eine wirklich wundervolle Stelle, bei der es mir jedesmal kalt den Rücken herunterläuft. Als ob die Welt für einen kurzen Moment verstummt.

    Hab „Deaf Dumb Blind“ heute nochmal gehört – ist wohl für mich das beste Sanders-Album! Wirklich gut!

    newkSehr treffende Beschreibungen Gypsy, Tauhid und Karma sehe ich ähnlich zwiespältig.
    Gerade habe ich zufälligerweise einen Essay von Bill Shoemaker gelesen in dem er Folgendes schreibt:
    „Der Tod John Coltranes und Albert Aylers hatte ein Vakuum hinterlassen, und nur wenige der Glanzlichter der 60er Jahre zeigten neue Wege auf. Pharoah Sanders war zu einem Rattenfänger mit einschläfernden Zwei-Akkord-Stücken geworden.“
    (http://www.fmp-label.de/freemusicproduction/texte/2010d_shoemaker.html)

    Ein hartes Fazit… mag sein, dass es nicht falsch ist. Aber in den späten Jahren wurde Sanders ja wie viele andere zu einem Mainstream-Post-Coltrane-Jazzer, oder wie immer man das nennen will. Meist nur mit Standard-Rhythmusgruppe wurde seine Musik viel gradliniger und zumindest an der Oberfläche weniger schreierisch-spirituell.

    Nun, weiter geht’s…

    Thembi (Sanders‘ Partnerin gewidmet, wenn ich das richtig verstehe) wurde in zwei Sessions eingespielt und besteht aus sechs Titeln – ein ganz anderes Konzept als auf den vorangegangenen Alben, und wie Steve Huey auf AMG schreibt finden sich trotz der übermässigen stilitischen Vielfalt und einem gewissen Mangel an Konsistenz erstaunlich viele ziemlich konzise Ideen.
    Die Band auf Seite A (Ende 1970 aufgenommen) besteht aus Michael White an Geige und Perkussion, Lonnie Liston Smith, Cecil McBee, Cliffod Jarvis und auf dem dritten, dem Titel-Stück, James Jordan an ring cymbals (was hat man sich darunter vorzustellen?). Die grosse Neuerung ist, dass Smith elektrisches Piano spielt – er prägt damit das öffnende „Astral Traveling“, das auch aus seiner Feder stammt. Sanders spielt Sopransax, sehr lyrisch und völlig konventionell, der Hintergrund mag leicht „spacig“ scheinen, White spielt hohe Falsett-Töne, die streckenweise wie Vogelgezwistscher klingen, zupft dazwischen… McBee ist wie immer tief und satt und legt ein wunderbares Fundament, Jarvis groovt zurückhaltend… was jedoch irritiert, ist wie Sanders‘ Sopran zwischen den Kanälen hin- und herwechselt. Seltsame Idee, das so abzumischen! (Bill Szymczyk hat beide Sessions im Record Plant in LA aufgenommen und gemeinsam mit Ed Michel das Album produziert.)
    Das zweite Stück, „Red, Black & Green“ ist mit neun Minuten der Kern der ersten Seite. Es beginnt mit zwei wild schreienden Tenören (Sanders mit Overdubs), die Rhythmusgruppe schleicht sich langsam ein, aber das Tenor-Geschrei lenkt alles Aufmerksamkeit auf sich. Nach eineinhalb Minuten erscheint im rechten Kanal ein simples Motiv, nach etwas mehr wildem Gebläse folgt die Stimme im linken Kanal auch… die Geige flicht sich ein zu einer dritten Stimme – sehr schön und wohl in Erinnerung an die Aufnahmen mit Coltrane zu sehen. McBee begleitet wunderbar, das Stück verweilt längere Zeit im Rubato (auch das eine Coltrane-Tradition) und die beiden Tenöre und die Violine umschmeicheln sich und werden dichter, wilder, dieses Mal bleibt die linke Stimme lange lyrisch, bricht dann aber mit Flatterzunge ins schon wilde Solo der rechten ein. Dann greift die rechte wieder das simple Thema auf. Eine sehr faszinierende Performance, zumal das nicht live so gespielt werden konnte!
    Fast deplaziert wirkt dann der Groove, mit dem McBee „Thembi“ eröffnet. Sanders spielt es am Sopran, sein Sound wirkt verspielt, mit vielen kleinen Einfärbungen, sehr hübsch. White umspielt seine Melodie mit langen Linien. Das alles ist wieder hart an der Grenze zum Kitsch…
    Die zweite Session fand anfangs 1971 statt, neben Smith und McBee waren Roy Haynes am Schlagzeug sowie die Perkussionisten Chief Bey, Majid Shabazz, Anthony Wiles und Nat Bettis dabeo (alle an afrikanischen Perkussionsinstrumenten). Zum Auftakt hören wir allerdings ein wunderbares fünfminütiges Bass-Solo von Cecil McBee mit dem Titel „Love“. Er wird selten mit den grossen Bassisten jener Jahre genannt, gehört aber zweifellos zu den allerfeinsten, auch was das Arco-Spiel betrifft, wie er im zweiten Teil seines Solos hier beweist. Nahtlos geht’s weiter mit „Morning Prayer“, von Sanders an der Altflöte präsentiert. Der Groove ist eine Art relaxte und viel smoothere Version der Grooves, die Yusef Lateef über zehn Jahre zuvor geprägt hat. Smith spielt Tyner-ähnliche Linien über dem minimalen Stück (wohl ein einziger Akkord), leider ist das ganze viel zu harmlos, als dass Trance aufkommen könnte – daran ändert auch Sanders intensives Solo nichts. Der Groove verschwindet plötzlich und über den sich auflösenden und in rascherem Tempo mit viel Gerassel neu formierenden Rhythmus röhrt Sanders wie ein wildes Tier, begleitet von Schreien von Lonnie Liston Smith… das Stück heisst „Bailaphone Dance“, nehme an damit ist das Balafon gemeint (ein afrikanischer Verwandter des Telephons? Oder wieso haben die das so geschrieben?), das Smith hier anscheinend spielt (zu hören ist davon nichts, es sei denn dengelt einfach mit den Perkussionisten mit, ohne mehr als einen Ton zu benutzen…) Sanders wechselt dann auf eine Flöte, die allerdings mehr nach einer einfachen Holzflöte klingt (fifes steht bei seinen Instrumenten, bailophone auch…) als nach einer Querflöte. Gegen Ende des Stückes ist das Balafon dann zu hören, die Musik verstummt dann fast, Flöten und ganz leise das Balafon bleiben, dann schliesst Sanders allein an der Flöte.

    Mit Black Unity kehrt Sanders wieder zu den langen Stücken zurück – das Album besteht aus dem 37 Minuten dauernden gleichnamigen Stück, das für die LP in zwei Teile getrennt wurde. Die Band ist wieder etwas grösser, neben Sanders (ts, balafon) spielen mit Carlos Garnett (ts) und Hannibal Marvin Peterson (t) zwei weitere Bläser mit, Joe Bonner sitzt am Klavier, McBee und Stanley Clarke sind an den Bässen zu hören, Norman Connors und Billy Hart am Schlagzeug, sowie Lawrence Killian an den Congas, dem Balafon und mit talking drums.
    Das Stück lebt von einem einfachen Ostinato, getragen von den Bässen und Bonners Tyner-artigem Piano. Die rhythmische Begleitung ist dicht, die Bläser spielen darüber zweimal über längere Zeit das repetitive, äussert einfache Thema im Unisono und brechen dann in eine kollektiv improvisierte Passage aus. Nach über sieben Minuten ist der Groove gesetzt und das erste Tenorsolo beginnt… zunächst relativ verhalten mit Wiederholungen von kleinen Figuren, dann rasch ins Falsett springend und wild grunzend… dann folgt Hannibal mit einem recht eindimensionalen Trompetensolo, in dem er sich höher und höher arbeitet – wirkt leider ziemlich kalkuliert und nur streckenweise aufregend, wenn er das Schema mit Schreien durchbricht. Plötzlich unterbrechen ihn die beiden Tenorsaxophone (unterstützt vom Harmonium – s.u.) und eine kollektive Passage folgt… dann das zweite Tenorsolo, zu Beginn komplett off-mic, danach etwas deutlicher zu hören – nehme mal an, dass das hier Sanders ist. Es folgt Bonners Solo – eine ziemlich langweilig geratene Version von Tyner. Dann folgen die Bässe (wohl McBee mit dem Lead) über diverse Instrumente… irgendwie ist die Luft aber raus, nach über 25 Minuten… der Bass-Dialog, der sich entspinnt (Clarke wohl rechts mit deutlich dumpferem, weniger singenden Ton) ist dennoch ganz schön – wenn nur das vermaledeite Harmonium nicht wäre! Am Ende plempert das ganze noch ein wenig aus… schade, irgendwie.
    Die Sounds, die auf dieser Aufnahme auszumachen sind, sind äusserst vielfältig – für den CD-Reissue wurde gar nicht erst versucht, das detailliert anzugeben. Thembi Sanders‘ kurze Liner Notes zählen auf: afrikanische Trommeln und Shaker, Glocken, Gongs, Flöten, Kuhhörner, Kuhglocken, Ketten, die Mbira, die Kora, die Koto, ein indisches Harmonium (das für die nervigen Hohen Töne zuständig sein dürfte, die die Solisten streckenweise fast zudecken und ausserdem extrem hässlich-synthetisch klingen), die Sitar, kubanische Trommeln und Shaker, Steel Drums…. und natürlich die westlichen Instrumente.

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    #5574999  | PERMALINK

    bicho

    Registriert seit: 21.12.2010

    Beiträge: 437

    Sehr schöne Beschreibungen, gypsy. „Deaf Dumb Blind“ halte ich auch für sein bestes Album.

    gypsy tail windIn der Mitte verstummt das Stück beinahe und McBee übernimmt mit einem wunderschönen Arco-Solo. Dann kehrt Sanders zurück, noch hymnischer und singender als zuvor – sehr schön!

    Die Stelle ist wirklich toll und zusammen mit der afrikanischen Perkussion ganz am Anfang meine liebste auf dem Album.

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    #5575001  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,994

    bichoSehr schöne Beschreibungen, gypsy. „Deaf Dumb Blind“ halte ich auch für sein bestes Album.

    Die Stelle ist wirklich toll und zusammen mit der afrikanischen Perkussion ganz am Anfang meine liebste auf dem Album.

    Ja, das hat mich beim Wiederhören am meisten überrascht! Muss ich wohl öfter hervornehmen, dieses Album! Und auch „Thembi“!
    Die letzten beiden (Live at the East und Revelation) will ich in den nächsten Tagen auch noch hören und drüber schreiben.

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    #5575003  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,464

    kennt jemand dieses Album? ich hab es vor 10-12 Jahren zuletzt gehört, aber damals fanden wir es unglaublich toll… (selber hab ich es leider nicht…)

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