Björk – Medúlla (2004)

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  • #38975  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

    Registriert seit: 03.11.2004

    Beiträge: 5,625

    Medúlla ist wohl eines der weniger zugänglichen Werke von Björk; ich habe jedenfalls eine Weile gebraucht, um mich richtig mit dem Album anzufreunden. Das Konzept ist einfach: die Sounds und Beats aus menschlichen Stimmen herzustellen, aus Solo- und Chorgesang, heftigem Atmen, einer human beat box (meist Rahzel von The Roots) und allem, was sich sonst noch mit Stimmbändern anstellen lässt – die Musik von ihrer Basis, der menschlichen Stimme, aus neu aufzubauen. Teilweise wurden die Aufnahmen dann noch elektronisch bearbeitet. Einmal kommt ein Klavier zum Einsatz, quasi ehrenhalber, da jemand Björk gegenüber bemerkt hatte, der Sound des Klaviers sei so ziemlich der einzige, der sich mit der menschlichen Stimme nicht nachahmen lasse. Dieses Konzept sorgt für frische Sounds, für interessante Texturen.

    Eine gewisse Kühle und Dunkelheit hält die verschiedenen Tracks zusammen. Das Album klingt in sich geschlossen und ist dabei erstaunlich vielfältig, mit einer Bandbreite, die von folknahen Songs über erfrischenden Avant-Pop und Ambient Techno bis hin zu avantgardistischen Stücken reicht. Der dritte Song des Albums, „Where is the Line?“ mit Mike Patton, rockt mächtig, ganz ohne Schlagzeug, und ist wunderbar finster; „Vökuró“ ist dann zart und ergreifend, schön gesungen von Björk und dem Chor (auf isländisch); danach kommt ein kleiner Konzept-Zyklus zur Geburt ihres zweiten Kindes: das avantgardistische „Öll Birtan“, ein gewöhnungsbedürftiger Track, evoziert die Geräusche der Maschinen im Krankenhaus, dazu wird schwer geatmet – da muss man durch; mit „Who is it“, leicht, melodiös und eingängig, wird das Neugeborene begrüßt; und im schwebenden, schrägen Art-Pop von „Submarine“ (mit Robert Wyatt) veranschaulicht Björk ihr langsames Auftauchen zurück zur künstlerischen Arbeit, nachdem die erste Zeit nach der Geburt dem Kind gehört hat.
    Mein Lieblingstrack ist „Desired Constellation“; er ist für mich pure Schönheit, einfach, anrührend, emotional – vom Vollmond beschienener Ambient Techno, produziert aus Samples von Björks Stimme. „Oceania“, bekannt von den Olympischen Spielen 2004, besticht durch seine flüssige Melodie und den wunderbar losgelösten, frei schwebenden Chor. Mit „Sonnets/Unrealities XI“ vertont Björk auf gelungene Weise e.e. cummings, nicht zum ersten Mal übrigens. Ein hübscher Track, ganz im Gegensatz zum zutiefst unheimlichen „Ancestors“, einem der kontroversen Stücke des Albums. Hier dominiert das throat singing von Tanya Tagaq, das auch bei anderen Songs zu hören ist. Zur Versöhnung gibt es am Ende zwei poppige, melodische, einprägsame Songs zu hören: „Mouth’s Cradle“ und das großartige „Triumph of a Heart“ mit dem japanischen „motormouth“ Dokaka, einer überzeugend nachgemachten Posaune und allgemeiner Ausgelassenheit. Ein wundervoller Abschluß.

    Medúlla ist ein sehr gutes Album mit ein paar kleinen Schwächen. Mit diesem Werk hat sich Björk erneut als stets innovative Künstlerin bewiesen. Es ist ganz anders als die Vorgänger und zugleich unverkennbar Björk.

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    #5380973  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 85,018

    Schöne Besprechung, Go1, vor allem präziser als das, was man vor zwei Jahren allenthalben lesen konnte. Dieses Björk-Album ist mit Ausnahme der Single Who Is It (die mir sehr gut gefiel) an mir vorbeigegangen, ich war zu der Zeit mit ganz anderen Dingen befasst – erfahre aber nun, dass genau die gleichen Erfahrungen hier Eingang fanden (Geburt eines Kindes). Ich werde mr das Album zulegen!

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    #5380975  | PERMALINK

    michaelcorleone

    Registriert seit: 17.07.2005

    Beiträge: 4,405

    Fantastisches Album, das bei mir nach der riesigen Björk-Euphorie, die sich jetzt stark gelegt hat, doch etwas nachgelassen hat. Ich bin etwas kritischer geworden und da fallen die Kritikpunkte doch etwas schwerer ins Gewicht.
    Aber natürlich sind Songs wie: Pleasure Is Mine, Where Is The Line, Oceania, Desired Constellation oder auch Mouths Cradle ganz große Kunst. **** 1/2

    Go1 würde mich freuen wenn du so einen Text über Björks absolutes Meisterwerk „Vespertine“ schreiben würdest. :wave:

    #5380977  | PERMALINK

    jimmy-dean

    Registriert seit: 11.04.2006

    Beiträge: 374

    Viele werden anderer Meinung sein, aber ich finde dass „Medúlla“ das harmonischste und beste Album ist, dass Björk je geschaffen hat. Auf den vorherigen Alben waren immer irgendwelche Songs die mich einfach gestört haben -hier ist alles stimmig. Allerdings verstehe ich nicht warum diese CD nicht zu Björks „eingängigsten Platten“ gehört. Auf mich wirkt es wohlklingender als Verspentine. Irgendwie finde ich auch dass Björks Stimme hier irgendwie wärmer klingt,hinzu kommt das wunderbare Konzept. Würde sogar sagen, dass das Album sich in meine All-Time-Favorites (Sea Change v. Beck, The Invisible Band v. Travis…), die Alben, auf denen kein einziger schlechter Song drauf ist, einreiht. Fünf Sterne.

    Naja, dass Cover find ich nicht so gelungen. Aber es gibt schöne Bilder aus der Medúlla-Zeit, wie beispielsweise dieses hier:

    Quelle: http://www.pictures.bjorkish.net

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