Empfehlungen zur Filmliteratur

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  • #36571  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
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    Peter Bogdanovich – Who The Devil Made It (Alfred A. Knopf, 1997)

    Bogdanovich fragt irgendwo in diesem Buch den größten aller Filmkünstler ob er Film als Kunst verstehe. Nein, verneint dieser lakonisch und schüttelt den Kopf. Was denn dann, wird nachgehackt. „Business“ sagt Howard Hawks, „just fun“. Befreundet mit Ernest Hemingway, John Ford, William Faulkner, Joe DiMaggio, Charles Lindbergh.

    Heute verwundern solche Worte eher, geniessen Filmemacher wie Hawks, Edgar G. Ulmer oder Joseph H. Lewis zumindest unter Eingeweihten den Ruf, den sie verdienen. Olympische Götter, Meister der Evidenz für die einen, immerhin der Antriebsriemen für so einige europäische Wellen für die anderen. Als Mitte der 60er Jahre dieser Generation der Vertrag gekündigt wurde, ging der Witz so, daß John Ford vor seinem ersten Meisterwerk „Stagecoach“ 89 vergessenswerte Filme gedreht hatte. Oder noch lustiger: Der tolle Hauptdarsteller des Filmes, John Wayne, hatte bereits 193 Filme auf dem Buckel. Zwar schrieben die Redakteure der französischen Cahiers du Cinema durchaus damals gegen diesen Mißstand an, riefen den auteur aus und organisierten Retrospektiven, aber nach dem Tod des großen Andre Bazin überwog eher der symbolische Charakter auf Seiten der Franzosen. Für jeden Sirk, jeden Fuller mußte man sich gefallen lassen, auch ein Handlanger wie Minnelli, wie Mankiewicz sei ein createur des wichtigsten im Film: Der Handschrift. Zu weit weg war das Land mittlerweile, das mit dem poetischen Realismus der 30er Jahre noch die Saat für den amerikanischen Film noir gelegt hatte.

    Nicht so weit war einige Jahre später Peter Bogdanovich, ein Filmstudent und Journalist aus Kingston. Während er zeitgemäß für seine eigenen Spielfilme von den günstigen Produktions- und Distributionsbedingungen des aufkeimenden „New Hollywood“ profitierte, verwandte er die übrige Zeit für ausgedehnte Interviews mit John Ford, einem Heroen, dem er mehr Hochachtung entgegen brachte als seinem Mentor Roger Corman oder dem eingebildeten Strippenzieher Coppola. Da die daraus montierte Dokumentation aufgrund von hohen Kosten für die Verwendung von Filmausschnitten (natürlich samt und sonders in den Händen der Produzenten) nicht ausgestrahlt werden konnte, beließ er es bei einem Hobby und besuchte Ford nochmals. Und Fritz Lang. Josef von Sternberg. Aldrich, Dwan, Hitchcock, Siegel, Walsh.

    Der mit diesen, meist privatimen, Gesprächen versehene Band gibt den wohl umfassendsten und klarsten Einblick in die größte Zeit des amerikanischen Films. Er beleuchtet sehr genau das Wechselspiel zwischen eigenem Ausdruckswillen und Erfüllung der Produzentenvorgaben. Ein schmaler Grat, der zB. im Falle Langs 30 Jahre subversive Umgestaltung zugeschusterter Drehbücher bedeutete. Oftmals muß man in lächerlichsten Auftragsarbeiten nach eben solchen Spuren der Potenz dieser Genies suchen, eine mühevolle Arbeit, der sich Bogdanovich konsequent nicht entzieht, da er ihre Urheber liebt und verehrt. Jeder noch so nichtige Film wird klug befragt, nichts dem würdelosen Vergessen überlassen. Aber auch nichts beschönigt und filmisches Versagen nicht verklärt. Einzigartig ist an dem Buch, daß hier Regisseure dezidiert zu ihrer technischen Praxis befragt werden, denen teilweise weitere filmtechnische Analysen bis heute verwehrt werden. „Wie haben sie es gemacht, Mr. Hitchcock“ hatte Truffaut ein Jahrzehnt vorher augenzwinkernd gefragt und Schrulliges, Anekdotisches aus dem Meister herausbekommen, Bogdanovich will es genauer wissen, fragt dezidiert nach Aufnahmeverfahren, Produktionssituation, Kameralinse. Ein Narr, wen dies nicht interessiert.

    Als Resumee bleibt allerdings auch einiges an Schwermut. Bogdanovich findet einen Howard Hawks vor, der seit zehn Jahren auf die Möglichkeit wartet, wieder drehen zu dürfen, obwohl nur ein Anruf seines vermeintlichen Freundes John Wayne genügen würde, um einige Produzenten antanzen zu lassen. Er spricht mit Fritz Lang, den in Hollywood niemand als den Urheber von „M“ kannte und der später bunte Abenteuerschinken zurück in Deutschland drehen mußte. „Der Tiger von Eschnapur“, my ass. Und am allerbittersten, ein Gespräch mit dem großspurigen (Die Schuld und Sühne-Verfilmung? „It was an assignment.“) Sternberg. Dieser rät Bogdanovich immer dem Produzenten zu gehorchen. „Compliment the man on his wisdom and intelligence“. Er hätte es doch niemals so gemacht, widerspricht der Interviewer, und er sei immens erfolgreich mit seiner Dickköpfigkeit gewesen. „Yes,“ sagt Sternberg, „but there were a few pages after that“. Die letzten sechszehn Jahre seines Lebens verbrachte er an an schweren Herzbeschwerden leidend ohne einen einzigen Filmauftrag.

    Später machte Bogdanovich übrigens ebenfalls die zwei Fehler, vor denen ihn Sternberg gewarnt hatte: Er überwarf sich mit seinen Produzenten. Und er verliebte sich in seine Hauptdarstellerin. Heute ist es gut dreißig Jahre her, daß er selber den letzten vernünftigen Film gedreht hat. Isn’t it sad?

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    #5380719  | PERMALINK

    hat-and-beard
    dial 45-41-000

    Registriert seit: 19.03.2004

    Beiträge: 20,417

    Eine schöne Idee für einen neuen, hoffentlich regelmäßig geführten Thread, ein wunderbarer, kenntnisreich und liebevoll geschriebener, große Leselust machender Text über ein Buch, das wohl Pflichtlektüre ist. Danke!

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    #5380721  | PERMALINK

    hat-and-beard
    dial 45-41-000

    Registriert seit: 19.03.2004

    Beiträge: 20,417

    Kannst Du denn Bogdanovichs Buch über die Schauspieler, „Who The Hell’s In It?“, auch empfehlen?

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    God told me to do it.
    #5380723  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

    Registriert seit: 09.11.2002

    Beiträge: 21,857

    Leider bisher nur in Ausschnitten gelesen.

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    #5380725  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,899

    Du bist in letzter Zeit so richtig fleissig! Tolle Idee, toller Text.
    Die erwähnte Bitterkeit kann man im übrigen auch aus Sternbergs Autobiographie herauslesen. Wobei man anmerken muss, das Sternberg von vorn herein nicht der allerfröhlichste Mensch war.

    --

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    #5380727  | PERMALINK

    fargo

    Registriert seit: 04.03.2004

    Beiträge: 2,521

    kennt jemand deutschesprachige Filmzeitschriften, die, so wie sich der Rolling Stone sich mit Musik, sich mit Film beschäftigt?
    ——–
    achja, empfehlungen zur Filmliteratur hätte ich auch noch:

    Francouis Truffaut
    Mr. Hitchcock wie haben sie das gemacht?

    das ist für Filmbücher das was die „Exile on Mainstreet“ oder das weiße Album der Beatles für Pop/rockmusik ist.

    Truffaut interviewte oder schrieb über Briefverkehr Fragen an Alfred H.
    das ging Jahre lang so und in diesem Büch ist das alles gesammelt.
    schön gegliedert in einzelne Schaffensperioden und Filmen mit Bildern ausgeschmückt.
    ———

    und noch eine Frage,
    kennt jemand diese Bücher:

    Splitter des Spiegels. Die Familie des Andrej Tarkowski (Gebundene Ausgabe)
    und
    Kunst der Zeit und des Erinnerns. Andrej Tarkowskijs Konzept des Films (Unbekannter Einband)

    sind die empfehlenswert?

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    #5380729  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

    Registriert seit: 09.11.2002

    Beiträge: 21,857

    Na, das „Exile On Main Street“ der Filmliteratur ist ja wohl immer noch Toeplitz‘ Filmgeschichte in fünf Bänden.

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    #5380731  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

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    Napoleon DynamiteNa, Das „Exile On Main Street“ der Filmliteratur ist ja wohl immer noch Toeplitz‘ Filmgeschichte in fünf Bänden.

    Dann ist Farbers „Negative Space“ aber mindestens das „Revolver“ oder „Abbey Road“ der Filmschreiberzunft.

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    #5380733  | PERMALINK

    napoleon-dynamite
    Moderator

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    Von Manny F-to-the-arber kann man sich jedenfalls ordentlich attitude abschauen. Der lag nie falsch. Außerdem rockt hier jedes einzelne Wort nach vorne. Kostprobe? „Termite-tapeworm-fungus-moss art goes always forward eating its own boundaries, and, like as not, leaves nothing in its path other than the signs of eager, industrious, unkempt activity.“

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    #5380735  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    Napoleon DynamiteVon Manny F-to-the-arber kann man sich jedenfalls ordentlich attitude abschauen. Der lag nie falsch.

    Eben. Genauso wie Amos Vogel.

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    #5380737  | PERMALINK

    otis
    Moderator

    Registriert seit: 08.07.2002

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    Napoleon DynamiteNa, das „Exile On Main Street“ der Filmliteratur ist ja wohl immer noch Toeplitz‘ Filmgeschichte in fünf Bänden.

    Falsch, das ist der Robert Johnson. ;-)
    Leider habe ich nur die ersten drei Bände.

    --

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    #5380739  | PERMALINK

    latho
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    Ich müsste jetzt eigentlich nachfragen, wo jeder einzelne Exile verordnet…

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    #5380741  | PERMALINK

    hat-and-beard
    dial 45-41-000

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    Beiträge: 20,417

    Hast bzw. kennst Du den Toeplitz auch?

    --

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    #5380743  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

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    Beiträge: 36,899

    Hat and beardHast bzw. kennst Du den Toeplitz auch?

    Noch nicht. Aber da eigentlich jeder Exile haben sollte…

    --

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    #5380745  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,899

    So, Toeplitz ist bestellt. Ich bin gespannt (kann es sein, dass seine Filmgeschichte bis 1945 geht?).

    --

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