Offener Brief an Nena

Liebes Frolein Kerner,

oder darf ich Sie, nachdem ich Sie jetzt schon mittlerweile 20 Jahre kenne, auch Nena nennen? Ich gehöre noch zu einer Generation, der es vergönnt war, ihre ersten musikalischen Geh- und Stehversuche mitzuerleben. Ich durfte erleben, wie sie am Leuchtturm von 99 Luftballons nur träumten. Dies fiel auch in den musikalischen Wirren der gruseligen neuen Deutschen Welle nicht weiter auf und ich gebe zu, dass auch ich damals in jugendlicher Verwirrung auf der ein oder anderen Party mitgegrölt habe. Apropos jugendlich: Jeder hat seine Art, mit dem unbarmherzig drohenden Alter fertig zu werden. Sie kleiden und gebärden sich nach wie vor wie 1984, und das war damals, mit Verlaub, schon grenzwertig. Dass Sie mit dem Älterwerden Ihre Probleme haben, durften einige von uns ja erleben, nachdem sie die Sarah Kuttner-Show ja wegen einer unbedachten Bemerkung seitens der Moderatorin boykottiert haben. Aber, seien Sie versichert: Es wird ihnen kein Strick draus gedreht, jeder halt wie er mag. Man gewöhnt sich auch daran, dass Sie im Rahmen Ihrer regelmäßigen Comebacks meist weitere Grufties der 80er aus Ihren Gräbern holen. Ich möchte da nur an jene Kim Wilde erinnern, bei der die meisten von uns froh waren, dass sie ihre (musikalische) letzte Ruhe gefunden hatte… Nun, was Ihre Rolle als Berufsjugendliche angeht: Das ist auch nicht sonderlich neu, sie machen das durchaus konsequent: Singen ist immer noch nicht ihre Stärke, vielleicht sollte mal jemand Ihnen flüstern, dass penetrantes einatmen nach jedem zweiten Wort in Mikrophonnähe weder erotisch oder mondän, sondern einfach nur nervig ist. Musikalisch machen auch ein paar Drum-Loops unter 08/15-Balladen noch keinen Disotheken-Brüller…
Liebe Nena: Sie haben meinen großen Respekt, dass Sie nach all Ihren Schicksalsschlägen noch so aufrecht stehen, und dass Sie im Vergleich mit so vielen Kollegen der NDW nicht bei Baumarkt-Eröffnungen auftreten müssen, aber eine Bitte hätte ich noch: Zeigen Sie meiner Generation (die nicht so weit weg von der Ihren ist), dass man mit dem Älterwerden fertig werden kann, indem man es einfach hinnimmt.
Ergebenst…