Jörg Böckem – "Lass mich die Nacht überleben"

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  • #20065  | PERMALINK

    ford-prefect
    Feeling all right in the noise and the light

    Registriert seit: 10.07.2002

    Beiträge: 9,542

    Hat das schon jemand gelesen? Oder was davon gehört? Jörg Böckem schlug sich nach dem Abitur als Schreiner, Metzger, Waldarbeiter, Germanistikstudent, Aktmodell und einiges mehr durch. Seit den 90er Jahren arbeitet er als freier Journalist unter anderem für Tempo, jetzt, Die Zeit und Der Spiegel. Unter anderem interviewte er Iggy Pop und Janet Jackson.

    Jörg Böckem hat doppelt Karriere gemacht, als erfolgreicher Journalist und als Heroin-Junkie. Darüber hat er ein Buch geschrieben. Seit drei Jahren führt der Autor ein Leben ohne Sucht.

    Am Mittwoch, 1. Dezember, liest Jörg Böckem im Karlstorbahnhof in Heidelberg aus seinem Buch vor. Da möchte ich gerne hingehen.

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      #2488539  | PERMALINK

      dominick-birdsey
      Birdcore

      Registriert seit: 23.12.2002

      Beiträge: 14,848

      „Tempo“ war Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger für mich die Zeitschrift. Viel mehr als ein Zeitgeist-Magazin. Solch eine Dichte an großartigen Journalisten und Autoren hat es seitdem nicht mehr gegeben. Stilbildend für mich was Musik, Literatur, Film und Comics anging. Einer meiner Lieblingsrezensenten war neben Uwe Kopf auch Jörg Böckem. Ersterer brachte mich dazu Van Morrison zu hören, letzterer brachte mich auf Stephen Duffy und zu Lilac Time. Dass ihm die Liebe zur Musik im Laufe seines Lebens abhanden kam, schreibt Böckem in seinem gerade erschienenen autobiographischen Buch „Lass mich die Nacht überleben“.
      Böckem ist ein Junkie. Das einzige, was ihn am Leben erhält, ist der Wille seinen Job nicht zu verlieren: „Journalismus ist das, was ich immer machen wollte.“ Aufgewachsen in einem kleinen Kaff nahe der holländischen Grenze, beginnt Böckem bereits mit vierzehn Jahren seine Drogenkarriere: seine Laufbahn ist klassisch. Von Einsteigerdrogen über LSD bis hin zu Kokain und Heroin. Gerne auch mal zusammen. Seine mündlichen Abiturprüfungen verpasst er im niederländischen Gefängnis, wegen Hehlerei. Trotz zwei längerer abstinenter Zeiträume, fällt er immer wieder zurück auf Heroin. Bis zu 500.- DM am Tag gibt er für den Kick aus.
      Der autobiographische Rückblick bleibt im Gedächtnis. Die Sprache ist, wie ironischerweise immer bei Böckem, nüchtern und auf den Punkt. Szenen, wie der Versuch sich eine Spritze in den erigierten Penis zu setzen, wechseln sich mit dem humorvollen Umgang der traurigsten Situationen ab: „Kirsten hatte meinen Diebstahl nicht einmal bemerkt, ich hatte die CDs sorgfältig ausgesucht und nur unhörbares Zeug wie Sting und Phil Collins verkauft […]. Aber das war nicht der Punkt. Ich konnte mir selbst nicht mehr trauen.“ Das Buch bezieht seine Spannung auch daraus, wie es Böckem immer wieder gelang, trotz des Drogenmissbrauchs, seinen Job, seine Freunde und Arbeitskollegen – die er betrogen hat – nicht zu verlieren.
      „Muss eine Geschichte eine Struktur haben, einen Anfang und ein Ende?“ fragte Böckem sich in einer Comicrezension im Oktober 1995. Marc-Antoine Matthieus Zeichnungen erschienen unter dem Titel „Der Anfang vom Ende“ und war eine gezeichnete Endlosschleife. Für den Rezensenten und Journalisten Böckem aber bleibt zu hoffen, dass er wie Bill Murray am Ende von „Groundhog Day“ seiner privaten Wiederholung endlich entkommen kann..

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      #2488541  | PERMALINK

      travis
      a campaign of hate

      Registriert seit: 10.02.2004

      Beiträge: 4,453

      @ DB, das macht mich neugierig, was du da geschreiben hast! obwohl ich glaube, schonmal etwas über das buch gelesen zu habe. neu ist es nicht, oder?

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      #2488543  | PERMALINK

      dominick-birdsey
      Birdcore

      Registriert seit: 23.12.2002

      Beiträge: 14,848

      Es ist Anfang des Jahres erschienen, ich denke mal, dass es in nicht allzulanger Zeit als Taschenbuch erscheinen wird.

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      #2488545  | PERMALINK

      ford-prefect
      Feeling all right in the noise and the light

      Registriert seit: 10.07.2002

      Beiträge: 9,542

      Hab im letzten August ein sehr interessantes Interview mit Böckem auf SWR1 gehört, kurze Zeit später war er zu Gast bei Beckmann im Ersten. Auf jeden Fall bringen seine Erfahrungsberichte zum Grübeln.

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      #2488547  | PERMALINK

      travis
      a campaign of hate

      Registriert seit: 10.02.2004

      Beiträge: 4,453

      werd ich auf jeden fall mal notieren! interessante geschichte.

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      #2488549  | PERMALINK

      ford-prefect
      Feeling all right in the noise and the light

      Registriert seit: 10.07.2002

      Beiträge: 9,542

      Eintritt zur Jörg Böckem-Lesung kostet schlanke 5 Euro

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      #2488551  | PERMALINK

      Anonym
      Inaktiv

      Registriert seit: 01.01.1970

      Beiträge: 0

      Originally posted by Dominick Birdsey@20 Nov 2004, 22:56
      „Tempo“ war Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger für mich die Zeitschrift. Viel mehr als ein Zeitgeist-Magazin. Solch eine Dichte an großartigen Journalisten und Autoren hat es seitdem nicht mehr gegeben. Stilbildend für mich was Musik, Literatur, Film und Comics anging.

      Das unterschreibe ich so sofort!

      An Böckem kann ich mich nicht erinnern (ausser Glaser und Biller kann ich mich an niemanden erinnern…), das Buch wird aber nächste Woche gekauft und in den Koffer gepackt!

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      #2488553  | PERMALINK

      Anonym
      Inaktiv

      Registriert seit: 01.01.1970

      Beiträge: 0

      Freitag gekauft und heute ausgelesen!

      Irgendetwas zwischen beängstigend und äußerst beeindruckend, wie kann man über diese Dinge nur so nüchtern und sachlich schreiben. DBs Kommentar ist kaum etwas hinzuzufügen – ausser vielleicht, dass die musikalischen Bezüge fast zu schön sind, um wahr zu sein. Ich glaube es ihm aber trotzdem.

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      #2488555  | PERMALINK

      ford-prefect
      Feeling all right in the noise and the light

      Registriert seit: 10.07.2002

      Beiträge: 9,542

      Am Mittwoch geh auch auf die Lesung, freu mich schon. Und danach fahr ich gleich weiter auf das Akustik-Konzert von The Gathering in der Frankfurter Batschkapp.

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      #2488557  | PERMALINK

      ford-prefect
      Feeling all right in the noise and the light

      Registriert seit: 10.07.2002

      Beiträge: 9,542

      Obwohl es sich auch anbieten würde, den Abend über in Heidelberg zu bleiben, denn auf der anderen Seite des Neckars spielt später im Schwimmbad Club Matt Sharp solo, Ex-Gitarrist von Weezer.

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      #2488559  | PERMALINK

      ford-prefect
      Feeling all right in the noise and the light

      Registriert seit: 10.07.2002

      Beiträge: 9,542

      Vorhin war ich auf der Lesung von Jörg Böckem in Heidelberg. Sie fand nicht im Konzertsaal statt, sondern eine Etage höher im kleinen Coco Loco-Café. Im intimen Kreis trug Böckem dann eine Stunde lang die wichtigsten Kapitel aus seinem Buch vor, anschließend kam es zu einer offenen Fragerunde.

      Böckem konzentrierte sich in seiner Lesung darauf, den Zuhörern zu vermitteln, aus welchen Gründen ein Mensch damit anfängt, harte Drogen wie Heroin und Kokain zu nehmen. Es habe was „Verwegenes und Verbotenes, durch Drogen bekam er früher ein tolles Wohlbefinden, er hatte seinen Spaß am Wochenende“. Böckem war früher Punk und Heroin-Junkie, ein Dasein, dass er als junger Erwachsener liebte und genoss. Mit Anfang 20 fing er seinen ersten Entzug an, als er körperlich merkte, dass er in einem halben Jahr tot sein wird, wenn er nicht seinen Lebenswandel radikal ändert. Böckem brauchte mehrere Anläufe und Therapien, wurde oft ruckfällig, bis er dann 2001 endgültig den Absprung aus der Drogen-Szene schaffte. Bis dahin hat Böckem aber viele seiner Freunde bereits durch harte Drogen sterben sehen. Durch seinen Drogenkonsum häufte der Autor einen großen Berg an Schulden an, daneben ist er mit Hepatitis infiziert. Dafür hat Böckem aber noch seinen Job als freier Journalist, eine Tätigkeit, die ihn mit voller Leidenschaft ausfüllt.

      Jörg Böckem legte in der Lesung auch den Schwerpunkt darauf, dem Publikum näher zu bringen, welche körperlichen und psychischen Qualen und Höllen-Schmerzen ein suchtkranker Mensch durchleiden muss. Trotzdem wolle er sich aber nicht mit seinem Buch als Moralapostel vorne aufstellen, mit seiner Biographie will Böckem nur einen authentischen Erfahrungsbericht wiedergeben. Die letztendliche Wertung demgegenüber und was man für eine Einstellung zu Drogen haben soll, diese Entscheidung überlässt er den Lesern selbst.

      Eine der interessantesten Stellen fand ich die Schilderung von Jörg Böckems Treffen zum Interview mit Iggy Pop im Sommer 1999. Damals hatte Böckem noch regelmäßig gedrückt. Er trug immer langärmelige Pullover, auch im heißesten Sommer, nie T-Shirts, damit niemand seine geröteten und zerstochenen Arme sehen konnte. Böckem hatte Angst, dass Iggy Pop seine Heroin-Sucht bemerken würde, war doch sein einstiges Jugend-Idol selbst jahrelang User. Ex-Junkies haben ein Auge für Heroin-Süchtige. Kurz vor dem Interview mit Iggy hatte sich Böckem zur Beruhigung noch mal eine Spritze gesetzt. Der Urvater des Punk blieb aber cool und freundlich und erkannte nicht den heruntergekommenen Junkie in Böckem. Oder Iggy ließ es sich zumindest nicht anmerken.

      Nach der Lesung hab ich mir dann noch das Buch von Jörg Böckem gekauft und ließ es mir vom Autor mit Widmung signieren. Jörg ist auf jeden Fall ein sehr netter und offener Mensch. Ein schöner Abend. Das Buch kommt nächstes Jahr auf die Theaterbühne und wird verfilmt.

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      #2488561  | PERMALINK

      lucyinthesky

      Registriert seit: 10.10.2004

      Beiträge: 42

      Dieses Buch steht auf alle Fälle auch auf meiner Liste. Schon als ich damals diesen packenden Spiegel-Artikel mit dem gleichnamigen Titel las, war ich neugierig auf mehr.

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      life's a stage and we are all just players on it - Shakespeare
      #2488563  | PERMALINK

      travis
      a campaign of hate

      Registriert seit: 10.02.2004

      Beiträge: 4,453

      das Böckem das alles sehr nüchtern erzählt, wurde ja schon gesagt, und ich empfand es auch so. er hat ja nie groß über seine sucht nachgedacht, er hat zwar entgiftungen gemacht, aber das auch nur, um zu arbeiten und hat gleich danach wieder angefangen. in seiner ersten therapie erzählt er momente, die er erst beim beschreiben wirklich realisiert hat, was er da eigentlich gemacht hat. seine begnung mit Iggy Pop und das, was Pop zu seinem drogenkonsum meint und wie er dazu steht, war sehr interessant. bei seinen letzte sätzen: „Vielleicht war es für mich tatsächlich nötig, ein paar Lektionen unter Schmerzen zu lernen. Ich werde mein Leben so schnell nicht wieder aufs Spiel setzen.“ kann man ihm nur glück wünschen, zumal es nicht immer viel gebraucht hatte, bis er wieder auf droge war. gutes buch!

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      #2488565  | PERMALINK

      starchild

      Registriert seit: 30.06.2005

      Beiträge: 155

      Nachdem ich heute morgen auf diesen Thread gestoßen bin, habe ich mir nachmittags das Buch besorgt, um es heute abend am Stück zu verschlingen. Böckems schonungslose, lakonische Art zu erzählen hat mich förmlich umgehauen; ich bin noch ganz zittrig… wundervoller Tipp, danke!

      --

      Bass and treble heal every hurt
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