Return of the GrievousAngel: Persönliche Schätze aus der weiten Welt der Kunst

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  • #11822111  | PERMALINK

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    coral-room
    (habe bis dato noch nicht einmal einen Ghibli-Film gesehen)

    Woran liegt das eigentlich? Oder einfach nie dazu gekommen? :)

    Sorry, aber das hat mir seither keine Ruhe gelassen!  :bye:

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      #11822163  | PERMALINK

      coral-room

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      grievousangel

      coral-room (habe bis dato noch nicht einmal einen Ghibli-Film gesehen)

      Woran liegt das eigentlich? Oder einfach nie dazu gekommen? :) Sorry, aber das hat mir seither keine Ruhe gelassen!

      Es hat sich bislang noch nicht wirklich ergeben. Ich glaube, es liegt zum einen daran, dass meine Freunde nahezu nichts mit Anime am Hut haben. Zwei Freunde lesen jeden One Piece-Manga bzw. schauen den Anime, aber das war es auch schon. Zum ersten Mal von Ghibli habe ich auch erst vor zwei Jahren oder so im Studium gehört, als ein paar Kommilitoninnen darüber sprachen. Zum anderen schaue ich die letzten Jahre generell nur sehr wenige Filme.

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      #11822349  | PERMALINK

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      Alles klar, das ist dann alles absolut nachvollziehbar – danke für die Rückmeldung!  :-)

      Falls du doch mal reinstarten solltest, lass es mich bitte wissen.  :bye:

      --

      #11822365  | PERMALINK

      coral-room

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      Beiträge: 2,121

      Mache ich! :)

      --

      #11822485  | PERMALINK

      Anonym
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      ANGEL OLSEN – Big Time (2022)

      Dann werde ich stattdessen noch ein paar Zeilen über meine liebste Künstlerin auf der Welt schreiben. Immerhin hat sich Angel ja Anfang des Monats mit einem neuen Album zurückgemeldet.

      Seit dem letzten Album All Mirrors sind mittlerweile auch schon wieder fast drei Jahre vergangen. In der Zwischenzeit war sie aber alles andere als untätig, hat mit Whole New Mess eine stripped down-Version von ebendieser opulent produzierten LP, ein Box-Set mit beiden Versionen und Extra-Tracks sowie eine EP veröffentlicht, auf der Angel einigen bekannten 80s-Hits die Ehre erweist. 

      Nebenbei verlor die mittlerweile 35-Jährige in dieser Phase ihres Lebens auch in kurzem Zeitabstand beide Adoptiveltern, die sie immerhin noch rechtzeitig über ihre – bald darauf auch öffentlich kommunizierte – Homosexualität in Kenntnis setzen konnte. Auch wenn damit meine Hoffnungen auf eine gemeinsame Zukunft endgültig begraben werden mussten, freue ich mich sehr für Angel und diesen Schritt.

      In Anbetracht dieser Umstände lässt sich konstatieren, dass Big Time diese ereignisreiche Zeit sehr gut einzufangen scheint. Irgendwo zwischen vom doppelten Abschied gezeichneten Kummer, Dankbarkeit und Befreiung finden wir Angel auf den zehn Tracks anmutiger als je zuvor. Von dem schwelgerischen Pomp des Vorgängers ist nicht viel übriggeblieben, nur hie und da schicken sich die Musiker unter der Leitung von Jonathan Wilson und Angel selbst an, das Klangbild in Richtung bombastischer Verdichtung ausufern zu lassen.

      Abgesehen davon setzt man hier mehr auf Zurückhaltung, die den persönlichen Texten entgegenkommt. Die gelegentlich einsetzende Pedal Steel gibt vor allem dem schönen Titeltrack den größten Country-Vibe seit ihrem Debüt Half Way Home. Wir hören auf der LP generell sehr tolle Arrangements mit Streichern, Orgel oder Cembalo, aber wie gewohnt ist es Angels göttliche Stimme, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Wie sie da immer wieder von der Vergangenheit („The past is with us, it plays a part / How can we change it? How do we start?“) bzw. allgemein der Zeit und Veränderung oder dem Leben und der Liebe singt, ist nicht weniger beeindruckend als am Erstwerk vor mittlerweile zehn Jahren. 

      Obwohl ich es noch nicht lang besitze und dementsprechend noch keine innige Beziehung zu den einzelnen Songs aufbauen konnte, halte ich Big Time wieder für ein ganz tolles Album und eine schöne Weiterentwicklung. Big Time ist eine Aufarbeitung von Vergangenheit und Gegenwart, eine Rückbesinnung auf simplere Dinge, Natur und die eigene Persönlichkeit hinter all den Spiegeln sowie nicht zuletzt eine wunderschöne LP zwischen sommerlich verträumter Wärme, luftigen Songstrukturen und einer Protagonistin, die sich mal wieder selbst erfindet und damit verdammt viel richtig macht. Und solange sie Zeilen wie „And I can’t fit into the past that you’re used to, I refuse to“ dieser magischen Mischung aus schmerzvoller Sehnsucht und graziler Bestimmtheit vortragen kann, für die ich Angel einst lieben gelernt habe, werde ich jeden Weg mitgehen und immer an ihren Lippen hängen.

      --

      #11823377  | PERMALINK

      coral-room

      Registriert seit: 06.01.2013

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      Danke für die Beschreibung des Albums und dessen Entstehungskontexts!  :bye:

      Ich habe bislang zu den Songs von Big Time, die ich gehört habe, noch keinen Zugang gefunden, mir hat der „schwelgerische Pomp“ von Mirrors oder auch der gemeinsame Track mit Sharon Van Etten mehr zugesagt. Aber nach der Lektüre deines Texts wage ich mich noch einmal heran. :-)

      --

      #11823407  | PERMALINK

      herr-rossi
      Moderator
      -

      Registriert seit: 15.05.2005

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      @grievousangel: Danke für die schöne Besprechung! Der Sound von „All Mirrors“ hätte mir eigentlich in die Karten spielen müssen, aber „Big Time“ ist so, wie ich Angel am liebsten höre.

      --

      #11823649  | PERMALINK

      Anonym
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      Wie so oft danke euch beiden für die Rückmeldungen!  :bye:

      Finde es sehr cool, dass eure sonst so kompatiblen Vorlieben hier mal schön auseinanderdriften. :)

      --

      #11823689  | PERMALINK

      Anonym
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      MY CHEMICAL ROMANCE – The Black Parade (2006)

      Lasset uns die Uhren noch einmal fast sechzehn Jahre zurückdrehen und in einen Herbst entführen, der sich in vielerlei Hinsicht als eine Art Wendepunkt für mich herausstellen sollte. Um den 14. Geburtstag herum war man in den Klauen der Pubertät aussichtslos gefangen. Pickel sprießten, das Testosteron blubberte und über die anderen aktiven Hormone hatte man selbst als abgestempelter Phlegmatiker weniger Kontrolle, als man je zugeben hätte können. Die Ahnungslosigkeit im Hinblick auf jene Entscheidung, welcher Pfad im Folgejahr beschritten werden sollte, hing genauso in der Luft wie der faulige Geruch einer manisch-depressiven Seele zwischen vermeintlichem Highlife und Verwesung. Tatsächlich wurden gelegentlich vor dem Einschlafen in einer relativ sachlichen Manier die Vorzüge und Konsequenzen eines vorzeitigen Ablebens durch die eigene Hand abgewogen, was dramatischer klingen mag, als es damals wirklich war. Musik spielte in jenen prägenden Jahren selbstverständlich auch eine gewichtige Rolle und mit der Entdeckung eines Albums hatten die Beatles plötzlich Konkurrenz um die Vorherrschaft auf dem eigenen Plattenteller bzw. damals noch im funktionierenden tragbaren CD-Player mit fast traumhaftem Sound.

      Man könnte jetzt natürlich ganz weit ausholen und über die Bedeutung von The Black Parade für eine Szene sprechen, von der nur noch eine romantische Erinnerung übriggeblieben ist; von den üppig geschminkten, fragilen Melancholikern, die in jenen Tagen My Chemical Romance wie Heilige verehrten. Ich bleibe aber lieber in meiner kleinen Weltanschauung anno Herbst ’06. Aufmerksam auf die Band wurde ich nicht bereits über eines der beiden vorangegangen Alben, sondern über Lead-Single Welcome To The Black Parade und dem dazugehörigen Musikvideo, die praktisch wie aus dem Nichts in meinen Kosmos eindringen und mein Leben für immer verändern sollten. Da ging es um einen unheilbar Kranken, da marschierte eine Horde eigenartiger Gestalten in Kostümen und (u.a. Gas-)Masken feierlich und leblos zugleich eine lange Straße hinunter. Und auf einer fahrenden Bühne stand da diese Band in einheitlichen, schwarzweißen Kostümen, die sich die Seele aus dem Leib zu spielen schien, mit einem Frontmann, der in seiner hingebungsvollen, theatralischen Performance dem Tod näher zu stehen schien als der kranke Patient.

      Was soll ich sagen? Es war Liebe auf den ersten Blick. Dieses Quintett, das hier so offensichtlich auf den Spuren von Queen unterwegs war und mit der einen Komposition für mich prompt alle Hymnen und Rhapsodien in den Schatten stellte, die Freddie Mercury und Gefolgschaft in 25 Jahren Bandgeschichte ersinnen konnten. Alles beginnt mit diesem sanften Klavierintro, das ich unter tausend anderen immer sofort heraushören würde. Es folgt ein emotionaler Rückblick von Sänger Gerard Way, Marschkapellensound und schließlich fällt der Vorhang und die Band spielt fast manischen Rock ’n‘ Roll. Die Gitarren von Frank Iero und Ray Toro jagen durch den Kanal und Ways Triumphzug kulminiert im mächtigen Pre-Chorus. „We’ll carry on, we’ll carry on“ heißt es da hoffnungsvoll und obwohl man nicht so ganz weiß, woher die optimistische Durchhalteparole kommt, nimmt man sie Ways beherzter Darbietung nur allzu unbefangen ab. Den Patienten bringt das zwar nicht wieder zurück ins Leben, fünf der großartigsten Minuten dieses Jahrtausends stehen nach dem Spektakel, wenn die Parade davongezogen ist, aber schon einmal auf der Habenseite.

      Dass die am dritten Longplayer der US-Amerikaner nicht zu kurz kommt, hat – sofern man den exzentrischen, aber harmlosen Hidden Track Blood mit einem Augenzwinkern abtun kann – eigentlich zwölf weitere Gründe. Denn da, wo sich gleich am einleitenden The End. ein Piepsen und die dazustoßende Gitarre in die Arme fallen, der Sterbende einen Abgesang auf sich selbst anstimmt, ja dort fängt jene Magie an, die sich sonst nur an den Schreibtischen der Studios Ghibli und Disney heraufbeschwören ließ. Ein Faible für Konzeptalben (kann ich nur teilweise von mir behaupten) und Rockopern im Speziellen (hmpf..) erleichtert den Zugang, ist aber keine Voraussetzung, um Gefallen an den absorbierenden Stücken zu finden. Auf der einen Seite gibt es auf The Black Parade Toros kraftvolle, röhrende Rock-Riffs, die wie auf Dead! oder This Is How I Disappear einen effektiven Beitrag zu einer überlebensgroßen Dynamik leisten, inmitten deren selbstzerstörerischem Sog aus Pathos und dramatischer Theatralik nur Frontmann Way mit seiner passioniert vorgetragenen Inszenierung vollständig die Kontrolle behält. Die andere Seite der Medaille schmücken im Gegensatz zum Vorgänger Three Cheers For Sweet Revenge auch ein paar Balladen, die nicht nur der Dramaturgie der losen Erzählung dienlich sind, sondern auch für sich genommen funktionieren. Cancer nimmt zwar einen stampfenden Beat mit auf die Reise, darf sich aber als einer der emotionalen Höhepunkte feiern lassen. Die übrigen balladesken Stücke, Single I Don’t Love You und Disenchanted, halten es in den ruhigen Gefilden ebenfalls nicht ganz aus, liefern aber vor allem bei Letzterem einige der schönsten und eindringlichsten Minuten: „Now will it matter long after I’m gone? / Because you never learn a goddamn thing“.

      Wie man es nun dreht und wendet, abgesehen von der etwas zu perfekt ausgefeilten Produktion wird man hier wenig finden, das den Spaß ernsthaft beeinträchtigen könnte. Und ob man nun Gefallen am zynisch bissigen Bestseller Teenagers samt ausgestrecktem Zeigefinger findet, zum verstörenden Polka-Rhythmus von Mama das Tanzbein schwingt oder seinen Emotionen beim entfesselten Famous Last Words ein Ventil bieten mag, in seiner kollektiven Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten und – pathetisch gesagt – Herzen zu berühren, sind die dreizehn Tracks der Black Parade in jeder Verfassung ein lohnender Streifzug durchs Jenseits und die verschrobene Gedankenwelt einer Band auf dem kreativen Zenit.

      Es gab eine Zeit in jenem Herbst 2006, da bat ich meine Mutter, die damals etwa zur selben Zeit aufstehen musste wie ich, mich jeden Tag damit aufzuwecken, den vorbereiteten CD-Player einzuschalten und mich direkt mit Zeilen wie „If you look in the mirror and don’t like what you see / You can find out firsthand what it’s like to be me“ (die Texte sind natürlich nicht alle so plakativ „emo“, wenn man so will) in den neuen Tag zu schicken. In der jugendlichen Welt des Schreibers bedeuteten diese Songs über Liebe, Hass, Einsamkeit, das Leben und den Tod eine Art Rückzugsort, an dem man sich Tag und Nacht Trost und Verständnis erwarten konnte. Es war, als würde diese gesunde Distanz, die zwischen mir und jedem künstlerischen Werk steht, dieses eine Mal überbrückt worden. Selbst wenn man sich vom zweifelhaften Faktor Nostalgie und romantischer Verklärung löst, bleibt The Black Parade für mich in seiner cineastischen Pracht nach wie vor ein Meisterwerk vor dem Herrn, zu dem ich jederzeit wieder zurückkehren kann – die Parade wird fortwährend weitermarschieren:

      „And though you’re dead and gone, believe me
      Your memory will carry on
      We’ll carry on.“

      --

      #11826743  | PERMALINK

      kinkster
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      herr-rossi@grievousangel: Danke für die schöne Besprechung! Der Sound von „All Mirrors“ hätte mir eigentlich in die Karten spielen müssen, aber „Big Time“ ist so, wie ich Angel am liebsten höre.

      Eben erst gesehen, da möchte ich mich Herrn Rossi anschließen, eine sehr tolle Besprechung und ja Big Time ist sehr fein geworden.

      --

      Meine nächste Sendung bei Radio StoneFM am Donnerstag den 21.03.2024 um 22:00: On the Decks Vol. 15: Mixed Tape #07
      #11827081  | PERMALINK

      Anonym
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      Danke dir!  :-)

      --

      #11828461  | PERMALINK

      Anonym
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      GRAM PARSONS – GP (1973)

      Warum nach fast neun Jahren im Forum nicht mal wieder ein paar Worte über meinen Lieblingskünstler verlieren? Die Geschichte von Gram Parsons, der praktisch im Alleingang die Grenzen zwischen den uramerikanischen Stilrichtungen Country, Blues und Soul aufbrach und mit den Manierismen der aufstrebenden Pop- und Rock-Kultur anreicherte, ist mittlerweile an vielen Lagerfeuern weitererzählt worden, sein Vermächtnis bzw. sein Einfluss reicht aber noch viel weiter als man sich beim bloßen Lesen seiner Vita vorstellen könnte. Jede Pedal Steel im Pop-Kosmos lässt sich – überspitzt gesagt – im Prinzip indirekt auf seine Person zurückführen, auch die ganze Alternative-Country-Community sieht in Parsons ihren Schutzpatron.

      Dass der Visionär nicht nur Wegbereiter, sondern selbst fähiger und kreativer Verfechter bzw. Umsetzer seiner Ideen war, bezeugt ja schon seine Arbeit auf den Alben der International Submarine Band, der Byrds und der Flying Burrito Brothers. Nach einer schwierigen Schaffenspause, die auf seinen Rauswurf bei den Burritos folgte, war es schließlich an der Zeit, seine Begabung als „Solo“-Künstler unter Beweis zu stellen. Emmylou Harris wurde auf Empfehlung von Kumpel Chris Hillman als Hintergrundsängerin und Duett-Partnerin ins Boot geholt, dazu gesellten sich mit Glen Hardin, James Burton, Byron Berline oder Al Perkins einige der versiertesten Musiker ihrer Zeit. Obwohl Parsons ein Country-Album im Sinn hatte, das traditioneller instrumentiert sein sollte als seine transzendierenden Ausritte mit den Burritos, zeigen gleich die einleitenden Augenblicke seines Debütalbums GP, warum er für die konservative Country-Crowd immer schon zu progressiv war. Auf diesen brettern Fiddle, Pedal Steel und die Rhythmusabteilung bereits dahin, als gäbe es kein Morgen, nach zehn Sekunden setzt der Protagonist erstmals an und verkündet trotz jugendlichen Alters voller vom Leben gezeichneter Überzeugung: „Time can pass and time can heal / But it don’t ever pass the way I feel“.

      Dieser – wiederum überspitzt formuliert – für das Genre fast revolutionäre Zugang, keine abgedroschenen Phrasen über verlorene Liebe zu kitschigen Streichern und jaulender Pedal Steel zum Besten zu geben und stattdessen auf persönlicheren, ja eigentlich auch urbaneren Jargon zurückzugreifen, ist neben der großartigen Musik, die natürlich trotzdem für nichts mehr Platz anbietet als für Emotion, der große Trumpf von GP im doppelten Sinne. Nicht umsonst ist praktisch jeder Song ein Volltreffer. Die von Parsons selbst geschriebenen, herrlich gefühlvollen Stücke wie A Song For You, She oder The New Soft Shoe fügen sich dabei nahtlos neben Klassikern wie Harlan Howards Streets Of Baltimore oder George Jones‘ That’s All It Took ein. Er selbst klingt zwar nach seinen von Drogen korrumpierten Jahren als Groupie der Rolling Stones, frischvermählter Bräutigam und Lebemann, wie er immer war, noch nicht so perfekt bei Stimme wie am Meisterwerk, das wenig später und nach seinem verfrühten Ableben als Grievous Angel das Licht der Plattenläden erblicken würde, das macht er aber mit viel Gefühl, Poesie und dieser natürlichen Fragilität wett, die man nur in seiner Stimme vorfindet.

      Dazu kommt natürlich, dass Harris als kongeniales Gegengewicht in Form von wunderschönen Backgroundgesängen auf den meisten der Stücke wie eine Sonne auch die letzten schattigen Flecken im Klanggebilde ausleuchtet. So brilliert sie etwa am eindringlich reumütigen Duett We’ll Sweep Out The Ashes In The Morning auch als Solostimme; wenn beide gleichzeitig singen und die Session-Musiker im Hintergrund an ihre subtilen Grenzen gehen, herrscht ohnehin eine ganz magische Atmosphäre der Sündhaftigkeit. Gemeinsam schwingen sie sich in ungekannte Höhen, lassen auf That’s All It Took das Original von George Jones und Gene Pitney ganz alt aussehen und harmonieren auch sonst in jeder Sekunde, die ihnen das Album zusammen vor dem Mikrophon lässt.

      Was hier lange Zeit auf ein perfektes Gesamtresultat zusteuert, verheddert sich kurz vor der Ziellinie leider noch auf unangenehme Weise. Weniger am Closer Big Mouth Blues, der der Bezeichnung Country Rock in seiner buchstäblichen Bedeutung hier deutlich am nächsten kommt und sich etwas in seiner Sturm-und-Drang-Mentalität verzettelt, mehr aber noch an der seltsamen Coverversion eines Stückes der J. Geils Band, Cry One More Time. Diese eigenwillige Interpretation, die als ziellos mäandernder funky Country-Blues-Jam mit präsentem Bariton-Saxophon einläuft, ist nicht nur als Song per se die schwächste Nummer auf der Debüt-LP, sondern überlässt den Platz hinterm Mikro gleich Parsons‘ Kumpel aus früheren Tagen, Barry Tashian. Ein schwieriges Experiment, das zwar wohlig schunkelt, auf diesem makellosen Album aber leider ziemlich deplatziert wirkt.

      Zieht man das nun in Betracht und erinnert sich an den beeindruckenden Fakt, dass Gram Parsons kein Jahr später ja noch ein besseres, formvollendetes Album aufnehmen konnte, so fällt es doch nicht schwer, am nahezu perfekten GP den imaginären Bruchteil eines Sternchens abzuziehen. Die Musik ist über jeden Zweifel erhaben, die Songs sind fast alle top notch und das Duo Gram & Emmy brilliert in den hohen Künsten der Sangeskunst. Wäre da nicht dieses überlebensgroße Vorurteil, das uns Schlager-Country-Künstler wie John Denver oder nahezu alles ab den 80ern aus den Country-Formatradios gebracht hätte, könnten sich bestimmt noch viel mehr Leute an seiner bereichernden Vision und dem übermittelten Lebensgefühl erfreuen, die Parsons uns Zeit seines kurzen Lebens in Form von Cosmic American Music hinterlassen hat:

      „Well, it’s said my life has been so free and easy
      But I’ll tell you now the story isn’t so
      ‚Cause I’ve spent a lot of time down on the corner
      Tasting tears and spilling whiskey on the floor”

      --

      #11828481  | PERMALINK

      kinkster
      Private Investigator

      Registriert seit: 12.10.2012

      Beiträge: 46,183

      Sehr feiner Text über das Debüt, nehme ich zum Anlass mal die beiden Platten heut aufzulegen.

      --

      Meine nächste Sendung bei Radio StoneFM am Donnerstag den 21.03.2024 um 22:00: On the Decks Vol. 15: Mixed Tape #07
      #11828813  | PERMALINK

      latho
      No pretty face

      Registriert seit: 04.05.2003

      Beiträge: 36,823

      Großartiger Text!

      --

      If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
      #11828871  | PERMALINK

      herr-rossi
      Moderator
      -

      Registriert seit: 15.05.2005

      Beiträge: 84,853

      Bin auch begeistert! :)

      Über John Denver müssen wir bei Gelegenheit nochmal reden, er war natürlich vanilla af, aber wer sonst hat einen authentischen Bluegrass-Song an die Spitze der Billboard-Charts gebracht? :) John und andere Mainstream-Country Acts (Kenny, Dolly, Billie Jo Spears, Lynn Anderson usw.), die in den 70ern auch bei uns im Radio liefen, haben zumindest bei mir den Boden bereitet dafür, dass ich heute Angel oder Sierra höre. Spätestens das Johnny Cash-Comeback und die Americana-Bewegung in den Neunzigern haben dafür gesorgt, dass (traditionellerer) Country auch bei jüngeren Hörern angesehen ist, und die entdecken auch Gram und Emmylou früher oder später.

      Noch zu My Chemical Romance: Das ist ein echtes Generationenalbum, ich habe gerne die Würdigung aus Sicht eines Zeitzeugen gelesen.:) Hier im Forum hat es seinerzeit meiner Erinnerung nach keine Rolle gespielt.

      --

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