Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

Startseite Foren Kulturgut Das musikalische Philosophicum Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

Ansicht von 15 Beiträgen - 781 bis 795 (von insgesamt 1,330)
  • Autor
    Beiträge
  • #11879743  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,857

    bullittUm es mal mit Bret Easton Ellis zu sagen: „Identitätspolitik ist das Schlimmste, was der Kunst je passiert ist.“ Zumindest bezogen auf die jüngere Geschichte würde ich ihm da recht geben.

    Das halte ich für eine gewagte Aussage aus einer ziemlichen Luxusposition heraus. Und das meine ich weder ironisch noch (im „links/rechts“ Sinn) politisch. Das Schlimmste, was der Kunst in der jüngeren Geschichte passiert ist, dürften Apple, Disney, Netflix und Co. sein. Wenn Karl May, TKKG, Zappa usw. Film oder Fernsehen wären, hätte man auf absehbare Zeit überhaupt keine Chance, da heranzukommen – mit oder ohne Disclaimer. Was die großen Streaming-Anbieter veranstalten, mag zwar nicht im engeren Sinn Zensur sein, hat aber das gleiche Ergebnis.

    Und als ernst gemeinte Frage: Merkst Du eigentlich, wie überempfindlich eine Beschwerde, dass vor TKKG-Folgen bei Spotify jetzt ein Disclaimer kommt, wirkt (oder zumindest wirken kann)? Die meiste Kunst, die mich interessiert, ist überhaupt nicht auf Knopfdruck, geschweige denn quasi kostenlos, zu haben. Vierzig Jahre oder ältere Bücher, Fernsehserien, Filme, Comics oder CDs sind kaum ohne zeitlichen und finanziellen Aufwand zu bekommen – und von bildender Kunst, Theater usw. brauchen wir da gar nicht zu reden. Da braucht man zeitlich und örtlich schon Glück, dass man die Werke überhaupt irgendwie zu sehen bekommt.

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    Highlights von Rolling-Stone.de
    Werbung
    #11879895  | PERMALINK

    clau
    Coffee Bar Cat

    Registriert seit: 18.03.2005

    Beiträge: 91,474

    krautathausAch der „slippery slope“, der „wohin das noch alles führt“ etc. etc….haben wir hier inzwischen im Stammtischgespräch. Ein Kumpel meinte, vor ein paar Jahren, dass es ja eh‘ bald mit YouTube und der Musik aus ist, weil europäisches Urheberrechtgesetz etc…ich merk da nix.
    Was ich aber merke, und da mach ich jetzt gerne mal Whataboutismus auf: diese auf der ganzen Welt angeleierte scheiß Rechtspopulisten-Fascho-Politik, die seit dem Februar ja so gar nicht mehr zu halten ist, inzwischen die „freie“ (ha, ha, ah) USA an den Rand des Umsturzes bringt, die REALEN Rechte von Frauen, Minderheiten, Wählern und erschossenen Kindern mit den Füßen tritt etc. etc….sorry, da kann ich über ein zurückgezogenes Jugendbuch nur die Schultern zucken, auch wenn ich es vom Verlag für falsch halte. Diese ganze Wokedebatte ist nichts anderes eine bescheuerte Ablenkungsparade, wie sie in den USA täglich betrieben wird, damit ja die niedrigsten Instinkte noch hervorgekitzelt werden um irgendwie diese Volltrottel für die MAGA Faschisten noch zum Wählen zu bringen. Die Springer Presse macht das hier recht erfolgreich. Drecksbagage. Mit Politik hat das gar nichts mehr zu tun, sondern mit dem Umsturzversuch von Demokratien am liebsten weltweit.Wurde übrigens von Steve Bannon so angekündigt…sprich man muß diese Arschlöcher ernst nehmen.
    Und dafür mach ich gerne mal den auch von mir gehassten Whataboutismus auf, denn hier steht momentan real unsere Zukunft auf dem Spiel. In der Ukraine, wg. Ungarn, wg. der USA (Außenpolitik! Weltweite Sicherheitspolitik!). Die Briten könenn da schon ein ganzes Lied singen, nachdem sie von den Rechtspopuisten nach Strich und Faden belogen wurden.
    Aber nein, die hauptsächlich aus dem eher rechten Rand kommenden Wokedabette, die wird aufgeblasen, als ob es kein morgen gäbe.
    P.S. es gibt auch gute News…das Arschloch Pirincci, dessen Romane ich vor geraumer Zeit in die grüne Tonne geworfen hab, muß endlich zahlen, b.z.w. wurde gepfändet. Neubauer seis gedankt.
    Ich weiß was Whataboutismus ist, ich mag ihn auch nicht. Es gibt aber Situationen, in denen man die Diskussion zumindest wieder in ein Verhältnis der Dringlichkeit setzen kann…und da muß ich sagen, liebe Leute: unterstützen wir in Zukuft unsere Demokratie? Oder lassen wir uns genauso verarschen wie die Ungarn, Amerikaner, Schweden…you name it.

    +1

    --

    How does it feel to be one of the beautiful people?
    #11880143  | PERMALINK

    nail75

    Registriert seit: 16.10.2006

    Beiträge: 44,711

    bullitt Um es mal mit Bret Easton Ellis zu sagen: „Identitätspolitik ist das Schlimmste, was der Kunst je passiert ist.“ Zumindest bezogen auf die jüngere Geschichte würde ich ihm da recht geben.

    Das ist die schwachsinnigste Aussage, die ich seit langem gehört habe.

    --

    Ohne Musik ist alles Leben ein Irrtum.
    #11880149  | PERMALINK

    bullitt

    Registriert seit: 06.01.2003

    Beiträge: 20,631

    krautathaus …Was ich aber merke, und da mach ich jetzt gerne mal Whataboutismus auf: diese auf der ganzen Welt angeleierte scheiß Rechtspopulisten-Fascho-Politik, die seit dem Februar ja so gar nicht mehr zu halten ist, inzwischen die „freie“ (ha, ha, ah) USA an den Rand des Umsturzes bringt, die REALEN Rechte von Frauen, Minderheiten, Wählern und erschossenen Kindern mit den Füßen tritt etc. etc….sorry, da kann ich über ein zurückgezogenes Jugendbuch nur die Schultern zucken, auch wenn ich es vom Verlag für falsch halte. Diese ganze Wokedebatte ist nichts anderes eine bescheuerte Ablenkungsparade, wie sie in den USA täglich betrieben wird, damit ja die niedrigsten Instinkte noch hervorgekitzelt werden um irgendwie diese Volltrottel für die MAGA Faschisten noch zum Wählen zu bringen. Die Springer Presse macht das hier recht erfolgreich. Drecksbagage. Mit Politik hat das gar nichts mehr zu tun, sondern mit dem Umsturzversuch von Demokratien am liebsten weltweit. … Aber nein, die hauptsächlich aus dem eher rechten Rand kommenden Wokedabette, die wird aufgeblasen, als ob es kein morgen gäbe. …

    Nun, dann sind wir uns in der Befürchtung ja weitestgehend einig, nur komme ich zu einem ganz anderen Schluss was Ursache und Wirkung betrifft. Schon mal überlegt, dass es da vielleicht kausale Zusammenhänge geben könnte? Schon mal eine Zeit  lang die trending topics auf Twitter verfolgt und geschaut, wer da welche Themen setzt, künstlich aufbläst und den Diskurs gezielt radikalisiert? Kleiner Tipp, es nicht „die Springer-Presse“. Ist natürlich bequem, sich Muster und Feindbilder von früher aufrecht zu erhalten, Identitätspolitik als rechte Propaganda abzutun und konkrete Auswirkungen selbiger als Lappalie herunterzuspielen. Ein zensiertes Jugendbuch in Deutschland? Hey, was ist das schon gegen ein Schulmassaker in den USA und die Machenschaften der NRA? Da kannst du nur mit den Schultern zucken. Klar. Und für die markigen Worte heimst du hier zudem natürlich völlig zu Recht reichlich Applaus ein. Sei dir gegönnt. Ganz großes Kino. Im Endeffekt spielst du mit solch billiger Polemik aber rechter Propaganda nur in die Hände, weil du entstehende kulturelle Restriktionen negierst und die Deutungshoheit darüber genau den falschen überlässt.

    Mein Standpunkt ist: Null Toleranz bei der Einschränkung von Kunstfreiheit. Völlig egal, aus welcher Richtung sie kommt. Und ja, das fängt bei Karl May und TKKG schon an und ich würde dafür sogar für debilen Schrott wie Layla klare Kante zeigen.

    nicht_vom_forum
    Das halte ich für eine gewagte Aussage aus einer ziemlichen Luxusposition heraus. Und das meine ich weder ironisch noch (im „links/rechts“ Sinn) politisch.

    Ja, ein Luxusproblem zunächst mal insofern, dass man in einer liberalen Demokratie Kunstfreiheit überhaupt einfordern kann. Zum Glück. Gerade weil mir das sehr bewusst ist, tue ich es, denn es soll bitteschön so bleiben.

    Das Schlimmste, was der Kunst in der jüngeren Geschichte passiert ist, dürften Apple, Disney, Netflix und Co. sein. Wenn Karl May, TKKG, Zappa usw. Film oder Fernsehen wären, hätte man auf absehbare Zeit überhaupt keine Chance, da heranzukommen – mit oder ohne Disclaimer. Was die großen Streaming-Anbieter veranstalten, mag zwar nicht im engeren Sinn Zensur sein, hat aber das gleiche Ergebnis. Und als ernst gemeinte Frage: Merkst Du eigentlich, wie überempfindlich eine Beschwerde, dass vor TKKG-Folgen bei Spotify jetzt ein Disclaimer kommt, wirkt (oder zumindest wirken kann)? Die meiste Kunst, die mich interessiert, ist überhaupt nicht auf Knopfdruck, geschweige denn quasi kostenlos, zu haben. Vierzig Jahre oder ältere Bücher, Fernsehserien, Filme, Comics oder CDs sind kaum ohne zeitlichen und finanziellen Aufwand zu bekommen – …

    Beim Thema „kulturelle Verarmung  durch Streamingdienste“ rennst du bei mir offene Türen ein. Dass da primär auf aktuelle Mainstream-Titel gesetzt wird und Klassiker und Nischenprodukte nicht berücksichtigt werden und sie somit aus dem kollektiven Gedächtnis ausradiert werden, ist ein echtes Problem. Volle Zustimmung. Hat natürlich finanzielle anstatt ideologische Gründe, geht aber in der Konsequenz in eine ähnliche Richtung. Nur würde ich das auch hier nicht gegeneinander ausspielen. Die eine Einschränkung wird ja durch die andere nicht weniger bedauerlich.

    zuletzt geändert von bullitt

    --

    #11880159  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,857

    bullittIm Endeffekt spielst du mit solch billiger Polemik aber rechter Propaganda nur in die Hände, weil du entstehende kulturelle Restriktionen negierst und die Deutungshoheit darüber genau den falschen überlässt.

    @.krautathaus vorzuwerfen, er würde der rechten Propaganda quasi über die linke Bande in die Hände spielen, wirkt schon etwas seltsam angesichts der Tatsache, wie Du Dich hier dagegen verwehrst, selbst rechtskonservative Positionen zu befördern, obwohl Du entsprechende „anti-woke“ Narrative hier zum Teil eins-zu-eins vertrittst und wiedergibst.

    Mein Standpunkt ist: Null Toleranz bei der Einschränkung von Kunstfreiheit. Völlig egal, aus welcher Richtung sie kommt.

    Dafür kritisierst Du die Einschränkungen der Kunstfreiheit, die nicht aus der woken Richtung kommen, aber (jedenfalls hier im Forum) erstaunlich wenig. Das wirkt schon, als hättest Du zumindest ein klares Primärziel.

    Nur würde ich das auch hier nicht gegeneinander ausspielen. Die eine Einschränkung wird ja durch die andere nicht weniger bedauerlich.

    Ich spiele nichts gegeneinder aus. Ich finde beides nicht gut und kritisiere auch beides. Nur finde ich das eine Thema (und die Bedrohung der Kunstfreiheit von rechts der Mitte) wesentlich problematischer als irgendwelche Disclaimer (erinnert sich noch jemand an die FBI-Warning?) oder die Aufregung wegen Karl May. Immerhin sind dessen Bücher schon lange gemeinfrei und könnten, sowohl jederzeit als auch von jedem, nachgedruckt oder (sogar kostenlos) online gestellt werden. Ein Anspruch, Karl May jederzeit per 24-Stunden-Amazon-Prime-Lieferung in neu gedruckten grünen Büchern aus Bamberg geliefert bekomen zu können, grenzt dann doch ans Absurde.

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    #11880165  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 25,869

    bullittNun, dann sind wir uns in der Befürchtung ja weitestgehend einig, nur komme ich zu einem ganz anderen Schluss was Ursache und Wirkung betrifft. Schon mal überlegt, dass es da vielleicht kausale Zusammenhänge geben könnte? Schon mal eine Zeit lang die trending topics auf Twitter verfolgt und geschaut, wer da welche Themen setzt, künstlich aufbläst und den Diskurs gezielt radikalisiert? Kleiner Tipp, es nicht „die Springer-Presse“.

    Guter Witz zum Frühstück, selten so gelacht.

    https://www.volksverpetzer.de/lgbtqi/welt-transfeindlichkeit-faschist-walsh/

    https://www.volksverpetzer.de/medien/trump-dankt-welt-bild-chef-doepfner-nennt-ihn-brillant/

    https://www.volksverpetzer.de/analyse/pro-kreml-kampagne-gegen-baerbock/

    Irgendwie hast du da wohl die letzten Jahre, vor allem seit 2014 nichts mitbekommen. Es ist schon eines, sich freiwillig in die Privatmeinungen der Twitterblase zu begeben, oder sich mit den alltäglichen Hetzern der Springerpresse auseinanderzusetzen. Bildblog kennst du wohl auch nicht?
    Da machst du ein Fass auf, weil Zappa zensiert werden könnte? Ehrlich? Weißt du warum das nie einen Erfolg haben wird? Weil die Springerpresse darauf nicht anspringen wird. Warum? Weil sie mit dem Thema Zappa in der breiten Bevölkerung keine Kohle machen können…aber wenn sie (und z.B. Söder) darüber schreiben, dass das ZDF dir deinen Winnetou wegnimmt…das gibt Kohle…denn genau darauf läuft es hinaus. Die rechstpopulistische Meinungsmache ist nichts anderes als eine gigantische Geldmaschine, weil man den dümmsten ungebildeten am leichtesten den Geldbeutel aufmacht. Egal ob in D, USA, UK, etc.etc…

    https://bildblog.de/

    Eine übertrieben linksidentitäre Meinungsblase auf Twitter und Co. ist schon etwas anderes, als die täglich volksverhetzende Meinungsmache der Rechtspopulisten Hand in Hand mit der auflagenstärksten Presse. Wie man da anderer Meinung sein kann, ist mir ein Rätsel.

    --

    “It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko
    #11880265  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,106

    krautathaus Eine übertrieben linksidentitäre Meinungsblase auf Twitter und Co. ist schon etwas anderes, als die täglich volksverhetzende Meinungsmache der Rechtspopulisten Hand in Hand mit der auflagenstärksten Presse.

    Da stimme ich Dir zu.

    Dass es eine riesige, höchst rentable rechte Hetzindustrie gibt, die in manchen Ländern furchterregende Erfolge verzeichnet, sollte uns aber nicht davon abhalten, auch die linksidentitäre Bewegung als freiheitsfeindlich anzuprangern. Dringend notwendiger Widerstand gegen rechtsextreme Menschenfeindlichkeit schließt dringend notwendige Kritik an pseudolinken Verirrungen nicht aus.

    Und ich glaube, @bullitt hat einen wahren Punkt getroffen, wenn er darauf hinweist, dass das Erstarken der Rechtspopulisten auch etwas mit den Auswüchsen einer linksidentitären Bewegung zu tun hat, die sich nicht mit dem Eintreten gegen Rassismus begnügt, sondern die Rassismus-Definition immer weiter ins Mikroskopische verschiebt (Stichwort Mikroaggression, „I-Wort“ usw.) oder einen US-Uniprofessor schon dann canceln will, wenn er das Wort negro beim Zitieren eines historischen Textes in den Mund nimmt. Diese vollkommen aus dem Ruder gelaufene, mit tatsächlich pseudoreligiös anmutenden Tabus arbeitende Moraldoktrin ist nicht nur ein gefundenes Fressen für rechte Kampagnenprofis und die Zyniker von der Bildzeitung (die natürlich jeden einzelnen dieser Fälle, von Winnetou bis zu Rastalocken, ausschlachten, das es kracht), sondern muss doch auch fast jeden Menschen, der nicht in die entsprechenden universitären Diskurse eingebunden ist, vor den Kopf stoßen.

    Auf die Gefahr, mit meinen vielen Buchtipps zu nerven: „Ein falsches Wort“ von Rene Pfister (Spiegel-Reporter USA) ist sehr empfehlenswert. Er schreibt ohne Schaum vorm Mund, aus einer gelassenen, aber entschlossenen liberalen Perspektive. Die Fälle, die er beschreibt, sind alle längst bekannt, von Ian Buruma, der als Chefredakteur der New York Review of Books rausflog, weil er es zuließ, dass in dem Blatt ein wegen sexueller Übergriffe angeklagter, aber freigesprochener Rockmusiker und Radiomoderator seine Erfahrungen schilderte, bis zu Dorian Abbot, dessen Vorlesung zum Klimawandel gecancelt wurde, weil er die systematische Benachteiligung asiatischer gegenüber afroamerikanischen Studenten an den amerikanischen Universitäten angesprochen hatte. Pfister liefert eine gute Zusammenfassung, die zeigt, dass zumindest in den USA die identitätslinke Bewegung äußerst kampagnenfähig, schlagkräftig, einflussreich und, jawohl, sehr cancelfreudig ist und in vielen Redaktionen und an vielen Universitäten Karrieren kappen kann.

    Vor allem aber finde ich eine Kernthese Pfisters sehr bedenkenswert:

    Linke Identitätspolitik trage nicht zur Beseitigung von Diskriminierung bei, sondern schade im Gegenteil „dem aufgeklärten Lager“.

    Denn diese linke Identitätspolitik helfe nur „einem bestimmten politischen Milieu, sich selbst zu vergewissern und sich in der Meinung zu bestärken, mit einer höheren Moral ausgestattet zu sein. Die Dogmen und Glaubenssätze in dieser kleinen Blase aber sind so rigide, dass sie auf eine Mehrheit der Wählerinnen und Wähler abstoßend wirken – und zwar ganz unabhängig von Geschlecht und Hautfarbe.“ Und das nutzt die Rechte dann natürlich, indem sie jeden einzelnen Fall zum Riesenpopanz aufbläst, damit nur ja niemand verpasst, „wie doof diese Linken alle sind“. Dieses Problem wird noch dadurch verstärkt, dass linke Politik ob ihres Kampfes gegen Mikroaggressionen in den vergangenen Jahren allzu oft vergessen hat, sich für die viel handfesteren ökonomischen Anliegen der Bevölkerung mit voller Wucht einzusetzen. Dass diese falsche Prioritätensetzung maßgeblich mit zum 2016er-Wahltriumph von Donald Trump beigetragen hat, ist mittlerweile, glaube ich, unter Polit-Analytikern unumstritten.

    Insofern glaube ich nicht, dass jemand, der radikal überhitzte linke Identitätspolitik anprangert, „Rechten in die Hände spielt“. Das Gegenteil ist, glaube ich, der Fall: Es ist wichtig, diese Kritik nicht exklusiv den rechten Demagogen zu überlassen, sondern aus einer freiheitlich-linken Haltung heraus gegen linkssektiererische Freiheitsfeindlichkeit einzutreten.

    --

    #11880281  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 25,869

    bullschuetz

    krautathaus Eine übertrieben linksidentitäre Meinungsblase auf Twitter und Co. ist schon etwas anderes, als die täglich volksverhetzende Meinungsmache der Rechtspopulisten Hand in Hand mit der auflagenstärksten Presse.

    Dass diese falsche Prioritätensetzung maßgeblich mit zum 2016er-Wahltriumph von Donald Trump beigetragen hat, ist mittlerweile, glaube ich, unter Polit-Analytikern unumstritten. Insofern glaube ich nicht, dass jemand, der radikal überhitzte linke Identitätspolitik anprangert, „Rechten in die Hände spielt“. Das Gegenteil ist, glaube ich, der Fall: Es ist wichtig, diese Kritik nicht exklusiv den rechten Demagogen zu überlassen, sondern aus einer freiheitlich-linken Haltung heraus gegen linkssektiererische Freiheitsfeindlichkeit einzutreten.

    Davon abgesehen, dass ich das nicht behauptet habe, krieg ich aber nen Kropf wenn jemand mit dem üblichen Slippery Slope anfängt und noch meint demnächst ist Frank Zappa dran. Zudem hat Bullitt mir vorgeworfen, ich würde mit meiner Argumentation Rechtspopulisten in die Hände spielen, nicht andersrum.

     

    „Schon mal eine Zeit lang die trending topics auf Twitter verfolgt und geschaut, wer da welche Themen setzt, künstlich aufbläst und den Diskurs gezielt radikalisiert? Kleiner Tipp, es nicht „die Springer-Presse“.

    Zudem sehe ich trotz aller Kritik, die ich im übrigen auch am linksidentitären Auftreten geäußert habe, nicht den Hauch einer Chance dass diese von vielen Einzelmeinungen auf Twitter nur irgendwie in der Liga der Springerpresse etc. spielt, in der EINZELMEINUNGEN von rechtspopulistischer Gesinnung in millionenfachen Auflagen am Rand der Volksverhetzung spielen. Punkt.

    Mir geht es nur darum, mal die linksidentitären Auswüchse in Relation zu den tatsächlichen momentaren Gefahren zu stellen.* Ich bin mir auch nicht sicher, ob diese seit Jahren gezielten Attacken von außen z.B. auf die europäischen Demokratien beim Durchschnittsbürger angekommen sind. Diese wurden übrigens sogar laut und deutlich versprochen, siehe Steve Bannon. Erfolgreich durchgesetzt, wie die Briten nun schmerzlich erfahren dürfen…die müssen dafür nicht gendern, die Armen.

    Und deshalb kann ich ob der falschen Entscheidung des Ravensburger Verlages nur mit der Schulter zucken.

    * übrigens ein Punkt zu dem ich immer wieder bei so ins Detail gehenden Diskussionen komme: einfach mal ein paar Schritte weider rückwärts gehen, und den Wald trotz der vielen Bäume sehen.

    Insgesamt stimme ich aber deiner Zusammenfassung durchaus zu.

     

    --

    “It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko
    #11880333  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,106

    @krautathaus

    Ich wollte Dir nichts in den Mund legen, sondern habe ein Zitat von Dir mglw etwas missverständlich mit einem Spruch kurzgeschlossen, den ich bei Debatten über das Thema öfter höre. Sorry, wenn das verunglückt war.

    In der Sache fühle ich mich nicht so fundamental weit entfernt von Dir: Was die Bedrohung von Meinungs- und Kunstfreiheit betrifft, wird es typischerweise immer dort wirklich ernst, wo rechte Autokraten an die Macht kommen. Insofern ist linksidentitäre Cancel Culture sicher nicht das  Hauptproblem, sondern halt nur auch ein Problem (bei dem sich obendrein Auswüchse wie in den USA verhindern lassen, wenn wir in Deutschland rechtzeitig unsere Einwände deutlich artikulieren).

    --

    #11880335  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 25,869

    Alles gut @bullschuetz ich hatte mich da auch mehr auf Bullitt bezogen. Ansonsten liegen wir da wirklich kaum auseinander.

    --

    “It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko
    #11880425  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,917

    Guter Beitrag, @bullschuetz! Ich glaube, wir sind hier im Forum alle nicht so weit auseinander (auch @bullitt nicht). Die tatsächliche Gefahr geht von den Rechten aus, vom Rechtspopulismus, der gerne mal in einen Faschismus übergeht. Dagegen ist die linksidentitäre Bewegung nicht mächtig, im Gegenteil. Wenn man sich nur mit Sprachregelungen auseinandersetzt, weil man der Meinung ist, dass man darüber die Gesellschaft formen kann, dann wird man von den Leuten mit Geld, Knarren und den simplen Argumenten an die Wand gestellt. Aber kritisieren kann man die Linksidentitären durchaus, das passiert ja fast automatisch, wenn man in der demokratischen Mitte steht.

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #11880485  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 25,869

    lathoGuter Beitrag, @bullschuetz! Ich glaube, wir sind hier im Forum alle nicht so weit auseinander (auch @bullitt nicht). Die tatsächliche Gefahr geht von den Rechten aus, vom Rechtspopulismus, der gerne mal in einen Faschismus übergeht. Dagegen ist die linksidentitäre Bewegung nicht mächtig, im Gegenteil. Wenn man sich nur mit Sprachregelungen auseinandersetzt, weil man der Meinung ist, dass man darüber die Gesellschaft formen kann, dann wird man von den Leuten mit Geld, Knarren und den simplen Argumenten an die Wand gestellt. Aber kritisieren kann man die Linksidentitären durchaus, das passiert ja fast automatisch, wenn man in der demokratischen Mitte steht.

    :good:

    --

    “It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko
    #11882559  | PERMALINK

    bullitt

    Registriert seit: 06.01.2003

    Beiträge: 20,631

    nicht_vom_forum  angesichts der Tatsache, wie Du Dich hier dagegen verwehrst, selbst rechtskonservative Positionen zu befördern, obwohl Du entsprechende „anti-woke“ Narrative hier zum Teil eins-zu-eins vertrittst und wiedergibst.

    Was ich meine, hat @bullschuetz ja schon gut auf den Punkt gebracht, vor allem in seinem letzten Absatz….

    Dafür kritisierst Du die Einschränkungen der Kunstfreiheit, die nicht aus der woken Richtung kommen, aber (jedenfalls hier im Forum) erstaunlich wenig. Das wirkt schon, als hättest Du zumindest ein klares Primärziel.

    Hier ging es früher auch schon reichlich um Parental Advisory Label, PMRC und die BPjS. Mein Haltung hat sich diesbezüglich in keiner Weise geändert. Wenn die vor zehn Jahren noch als links galt und jetzt als rechtskonservativ, zeigt das vielleicht die Schizophrenie derer, die sich da zugehörig fühlen mögen, aber das ist ja nicht mein Problem.

    Nur finde ich das eine Thema (und die Bedrohung der Kunstfreiheit von rechts der Mitte) wesentlich problematischer als irgendwelche Disclaimer (erinnert sich noch jemand an die FBI-Warning?) oder die Aufregung wegen Karl May.

    Ist ja schön, wir können gerne auch über Zensur in China, Russland oder dem Iran sprechen, aber dies ist halt nun einmal der Thread für „Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture“. Was sollen da jedes mal diese Ablenkungsmanöver? So frei nach dem Motto: „Ich finde whataboutism auch scheiße, aber was ist mit….“

    krautathaus Irgendwie hast du da wohl die letzten Jahre, vor allem seit 2014 nichts mitbekommen. Es ist schon eines, sich freiwillig in die Privatmeinungen der Twitterblase zu begeben, oder sich mit den alltäglichen Hetzern der Springerpresse auseinanderzusetzen.

    Och, ich habe so einiges mitbekommen, ich stehe schließlich seit zehn Jahren (Achtung Triggerwarnung) auf der Gehaltsliste der Welt. ;-) Und unter welchem Dach wir hier gerade schreiben, ist dir schon auch bewusst?
    Ich habe mal deinen ersten Link vergleichen. Der Welt-Artikel liest sich wesentlich differenzierter und weniger reißerisch als der vom „Volksverpetzer“, der sich Zitate so zusammenbastelt, wie sie ins Narrativ der Autorin passen. Überprüft ja eh keiner, weil keiner der Leser dort hinter die Bezahlschranke der Welt schauen kann. Praktisch. Den Film, über den es geht,  kenne ich allerdings nicht.

    Bildblog kennst du wohl auch nicht? Da machst du ein Fass auf, weil Zappa zensiert werden könnte? Ehrlich? Weißt du warum das nie einen Erfolg haben wird? Weil die Springerpresse darauf nicht anspringen wird. Warum? Weil sie mit dem Thema Zappa in der breiten Bevölkerung keine Kohle machen können…aber wenn sie (und z.B. Söder) darüber schreiben, dass das ZDF dir deinen Winnetou wegnimmt…das gibt Kohle…denn genau darauf läuft es hinaus.

    Also eine große Verschwörung? Die Reihenfolge, dass der Ravensburger Verlag in sozialen Medien unter Druck geraten ist, er DARAUFHIN seine Veröffentlichungen zurückgezogen hat und DANN erst die böse Springer-Presse heißgelaufen ist, blenden wir bei der Gelegenheit wohl besser einfach mal aus. Ebenso mein Beispiel von Meldeformular bei Sony. Mit der Schlagzeile macht (leider) bisher auch niemand Kohle und das gibt es trotzdem.

    --

    #11882667  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,857

    bullittDie Reihenfolge, dass der Ravensburger Verlag in sozialen Medien unter Druck geraten ist, er DARAUFHIN seine Veröffentlichungen zurückgezogen hat […]

    Als wirklich ernstgemeinte Frage: Gibt es irgendeine Quelle dafür, dass der Ravensburger Verlag die hier im Thread mal genannten 160 Tweets vor dem Zurückziehen der Veröffentlichung als so heftigen „Druck“ empfunden hat, dass er dem zwingend nachgeben musste?

    Mir erscheint das auf einer Skala von 0 bis Shitstorm irgendwie nicht massiv genug, um nur deswegen eine wahrscheinlich nicht kleine Summe Geld abzuschreiben. Post hoc, ergo propter hoc hat ja nicht zufällig einen eigenen Wikipedia-Eintrag. Ich halte es -auf der Basis dessen, was ich gelesen habe- jedenfalls zumindest für möglich, dass der Verlag nicht nur auf Druck reagiert hat, sondern tatsächlich hinter der Entscheidung steht und die Twitter-Kritik eher ein Anstoß war, ein zweifelhaftes Projekt nochmal neu zu bewerten.

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    #11882671  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,857

    bullitt@.bullschuetz ja schon gut auf den Punkt gebracht, vor allem in seinem letzten Absatz….

    @.bullschuetz‘ Post stimme ich ja durchaus zu. Allerdings finde ich eben keines der auf den letzten Seiten genannten deutschen Themen tatsächlich gute Beispiele für „radikal überhitzte linke Identitätspolitik“. Egal, ob es um den Pseudo-Karl-May-Film oder den TKKG-Disclaimer geht. Dass sich nach 40, 60 oder 130 Jahren der Zeitgeist ändert und man manches nicht mehr unkommentiert (oder überhaupt) verbreiten möchte, ist doch nicht verwunderlich.

    Der primäre Unterschied von jetzt zu „früher“ (also der Zeit ohne Disclaimer) ist doch, dass die damaligen Erzeugnisse überhaupt als aktuelle wiederveröffentlichte Ausgaben einfach zu bekommen sind und man sich deshalb als heutiger Verleger irgendwie zu ihnen positionieren muss. Beispielsweise die Jugendliteratur der 50er war doch 30 Jahre später im Grunde nur noch antiquarisch verfügbar.

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
Ansicht von 15 Beiträgen - 781 bis 795 (von insgesamt 1,330)

Du musst angemeldet sein, um auf dieses Thema antworten zu können.