Kulturelle Aneignung, Identitätspolitik, Wokeism, PC & Cancel Culture

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  • #11212245  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 36,937

    bullschuetz
    […]
    Natürlich wäre es ganz was anderes, wenn solche Forderungen auch noch in Gesetze gegossen wuerden und, sagen wir, eine mit Künstlern besetzte Kommission entscheiden wuerde, welche Werke anderer Künstler entfernt und zerstört werden. Aber das ist eine Binsenweisheit. Natürlich wäre das schlimmer. Dann empfaende ich auch kein Unbehagen mehr, sondern Wut und Angst, nicht nur um die Kunstfreiheit.

    Staatlich gibt es das nicht, aber private Institutionen führen das ja ein, auf „öffentlichen Druck“ (oder das, was sie als solchen wahrnehmen). Also beispielsweise US-amerikanische Universitäten.

    --

    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
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    #11212319  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,865

    lathoStaatlich gibt es das nicht, aber private Institutionen führen das ja ein, auf „öffentlichen Druck“ (oder das, was sie als solchen wahrnehmen). Also beispielsweise US-amerikanische Universitäten.

    Auf die Gefahr hin, dass ich wie eine kaputte Schallplatte klinge: Auch hier wirken die US-spezifischen Strukturen verschärfend. Eine staatliche Hochschule kann gesellschaftliche Diskussionen aussitzen, bis es einen Konsens gibt und der sich in Verwaltungsanweisungen niederschlägt. Eine US-typische, von privaten Geldgebern abhängige Uni hat diesen Luxus nicht. Außerdem hat die private Finanzierung zur Folge, dass die Studenten in den USA sich wesentlich mehr als Kunden sehen als die in Europa.

    Dass US-Universitäten gemeinhin wesentlich mehr Infrastruktur für ihre Studenten bereitstellen, z. B. Wohnheime und Uni-Sport, als ihre US-Gegenstücke, kommt da noch hinzu.

    Vergleichbares gilt für Museen und andere kulturelle Einrichtungen.

    zuletzt geändert von nicht_vom_forum

    --

    Reality is that which, when you stop believing in it, doesn't go away.  Reality denied comes back to haunt. Philip K. Dick
    #11212403  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,059

    Ein paar bedenkenswerte Kommentare zur Cancel Culture in der NYTimes for ein paar Wochen, z.B.

    2. All cultures cancel; the question is for what, how widely and through what means.
    There is no human society where you can say or do anything you like and expect to keep your reputation and your job. Reputational cancellation hung over the heads of Edith Wharton’s heroines; professional cancellation shadowed 20th-century figures like Lenny Bruce. Today, almost all critics of cancel culture have some line they draw, some figure — usually a racist or anti-Semite — that they would cancel, too. And social conservatives who criticize cancel culture, especially, have to acknowledge that we’re partly just disagreeing with today’s list of cancellation-worthy sins.

    ..

    4. The internet has changed the way we cancel, and extended cancellation’s reach.
    On the other hand, a skeptic might say that it wasn’t liberalism but space and distance that made America a free country — the fact that you could always escape the tyrannies of local conformism by “lighting out for the territory,” in the old Mark Twain phrase. But under the rule of the internet there’s no leaving the village: Everywhere is the same place, and so is every time. You can be canceled for something you said in a crowd of complete strangers, if one of them uploads the video, or for a joke that came out wrong if you happened to make it on social media, or for something you said or did a long time ago if the internet remembers. And you don’t have to be prominent or political to be publicly shamed and permanently marked: All you need to do is have a particularly bad day, and the consequences could endure as long as Google.

    8. The right and the left both cancel; it’s just that today’s right is too weak to do it effectively.
    Is it cancel culture when conservatives try to get college professors disciplined for anti-Americanism, or critics of Israel de-platformed for anti-Semitism? Sure, in a sense. Was it cancel culture when the Dixie Chicks — sorry, the artists formerly known as the Dixie Chicks — were dropped by radio stations and tour venues, or when Bill Maher’s “Politically Incorrect” was literally canceled, for falling afoul of patriotic correctness? Absolutely.

    But as the latter examples suggest, the last peak of right-wing cultural power was the patriotically correct climate after Sept. 11, a cultural eon in the past. Today the people with the most to fear from a right-wing cancel culture usually work inside Trump-era professional conservatism. (And even for them there’s often a new life awaiting as a professional NeverTrumper.) Attempted cancellations on the right are mostly battles for control over diminishing terrain, with occasional forays against red-state academics and anti-Trump celebrities. Meanwhile, the left’s cancel warriors imagine themselves conquering the entire non-Fox News map.

    https://www.nytimes.com/2020/07/14/opinion/cancel-culture-.html

    Das deckt für mich die ganze Bandbreite recht gut ab (und führt auch den USA-Bezug nochmal vor Augen): die besseren und schlechteren Aspekte, aber auch die Tatsache, dass das letzten Endes kein neues Phänomen ist, dass aber die aktuelle Form online wirklich Auswüchse zeitigt, die überhaupt nicht begrüssenswert sind … und auch, dass es kein Phänomen ist, das nur von der Linken ausgehen würde, auch wenn es momentan den Anschein macht (und das Geschrei darüber verstärkt diesen Eindruck natürlich, umso lieber brüllen die rechtsbürgerlichen oder auch die traditionell-behäbigen liberalen Leitmedien da im Chor und geben sich als die Stimmen der Vernunft und des wahren Liberalismus).

    Obendrein fände ich etwas mehr Cancel Culture gegen rechtsextreme Polizisten durchaus begrüssenswert. Aber da klappt das ja in aller Regel weiterhin überhaupt nicht (weswegen steht wohl auch oben bei nicht_vom_forum – aber ich befürchte, ein anderer Grund ist auch, dass die Mehrheitsgesellschaft das alles eben doch weniger übel findet als die paar „Einzelfälle“ – und wer bestimmt da genau nochmal den Diskurs? Eben doch nicht die Linke, oder?).

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11212475  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,113

    @gypsy-tail-wind Danke, gute Denkanstöße aus der NYTimes!

    --

    #11212501  | PERMALINK

    herr-rossi
    Moderator
    -

    Registriert seit: 15.05.2005

    Beiträge: 85,018

    bullschuetzDu betrachtest das als „radikale Geste“ und „künstlerische Performance“? Nun ja. Da muss ich leicht schmunzeln, wenn ich mir vorstelle, was Black dazu sagen würde, wenn sie erfuehre, dass ein älterer weißer Mann sie verteidigt, indem er erklärt, sie habe das vermutlich ja gar nicht so gemeint …

    Wie kommst Du denn jetzt darauf? Wieso ist eine „künstlerische Performance“, eine „radikale Geste“ „gar nicht so gemeint“? Selbstverständlich ist sie gemeint und gewollt! Mein Punkt ist, dass es eine andere Qualität hat, wenn eine Künstlerin ein Kunstwerk in einer geplanten öffentlichen Aktion in Frage stellt, als wenn irgendwer irgendwas ins Internet tippt. Hier redet eine Künstlerin über Kunst und adressiert ihre Kritik an ein Kunstmuseum und eine an Kunst interessierte Öffentlichkeit. Das ist etwas anderes als schnell mal einen hot take auf Twitter abzulaichen. Deswegen ist es als Beispiel natürlich auch leicht zur Hand, weil es in Erinnerung bleibt.

    Natürlich wäre es ganz was anderes, wenn solche Forderungen auch noch in Gesetze gegossen wuerden und, sagen wir, eine mit Künstlern besetzte Kommission entscheiden wuerde, welche Werke anderer Künstler entfernt und zerstört werden. Aber das ist eine Binsenweisheit. Natürlich wäre das schlimmer. Dann empfaende ich auch kein Unbehagen mehr, sondern Wut und Angst, nicht nur um die Kunstfreiheit.

    Ich beharre darauf, dass es einen essenziellen Unterschied macht! Das eine wäre tatsächlich ein Anschlag auf die Freiheit, ein Akt obrigkeitlicher Gewalt. Aber Hannah Black macht von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch und sie nimmt keine Rücksicht darauf, ob ihre Forderung jemandem Angst macht. Und dabei hat sie nichts anderes als ihr Wort. Was wäre Dir denn lieber, Kritik schön sachlich, freundlich und liebenswert verpackt? Damit niemand Angst bekommt? Klar, das hätten wir alten, weißen Männer gerne. Uns freundlich unseren guten Willen bestätigen lassen, dass wir verstanden haben und dass das auch alles ganz furchtbar wichtige Themen sind, aber dann doch bitte ganz schnell wieder zur Tagesordnung zurück? Ja, genau so erreicht man echte Veränderung …

    --

    #11212537  | PERMALINK

    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

    Beiträge: 2,113

    In der Tat bin ich ein Befürworter von sachlicher Kritik. Ob sie freundlich verpackt ist, finde ich weniger wichtig. Liebenswert muss sie gewiss nicht sein.

    Mich irritiert bei der Debatte nicht die Haerte der Kritik, sondern die Idee der Tabuisierung, der Zerstörung und des Verbots, die als legitime Konsequenz aus der Kritik abgeleitet wird. Das kenne ich, wie @nicht-vom-forum ja auch geschrieben habe, traditionell eher von „der anderen Seite“, von konservativen bis reaktionaeren, von christlichen und von sexualmoralbigotten Spießern.

    --

    #11212689  | PERMALINK

    reino

    Registriert seit: 20.06.2008

    Beiträge: 5,699

    herr-rossi

    bullschuetzDu betrachtest das als „radikale Geste“ und „künstlerische Performance“? Nun ja. Da muss ich leicht schmunzeln, wenn ich mir vorstelle, was Black dazu sagen würde, wenn sie erfuehre, dass ein älterer weißer Mann sie verteidigt, indem er erklärt, sie habe das vermutlich ja gar nicht so gemeint …

    Wie kommst Du denn jetzt darauf? Wieso ist eine „künstlerische Performance“, eine „radikale Geste“ „gar nicht so gemeint“? Selbstverständlich ist sie gemeint und gewollt! Mein Punkt ist, dass es eine andere Qualität hat, wenn eine Künstlerin ein Kunstwerk in einer geplanten öffentlichen Aktion in Frage stellt, als wenn irgendwer irgendwas ins Internet tippt. Hier redet eine Künstlerin über Kunst und adressiert ihre Kritik an ein Kunstmuseum und eine an Kunst interessierte Öffentlichkeit.

    Adolf Hitler war auch Künstler und der Marsch auf die Feldherrenhalle war nur eine Kunstaktion.

    Ich finde es eigentlich wesentlich beunruhigender, wenn Künstler andere Künstler canceln wollen, als wenn die üblichen reaktionären Kreise („Das ist doch keine Kunst“, „Das kann mein sechsjähriger Neffe besser“, „Kunst kommt von Können“) ihren Müll absondern.

    zuletzt geändert von reino

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    #11219889  | PERMALINK

    kurganrs

    Registriert seit: 25.12.2015

    Beiträge: 8,838

    #11219925  | PERMALINK

    reino

    Registriert seit: 20.06.2008

    Beiträge: 5,699

    Und „Uncle Ben’s“ wird in „Ben’s Original“ umbenannt.
    https://www.mopo.de/news/panorama/nach-rassismus-vorwuerfen–uncle-ben-s–bekommt-neuen-namen-37391206

    Die Frage ist natürlich, ob das Ersetzen einer schwarzen Sympathiefigur durch eine weiße nicht auch Rassismus wäre.

    zuletzt geändert von reino

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    #11220009  | PERMALINK

    cleetus

    Registriert seit: 29.06.2006

    Beiträge: 17,288

    Es gibt keinen Rassismus gegen Weiße.

    --

    Don't be fooled by the rocks that I got - I'm still, I'm still Jenny from the block
    #11220031  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 25,890

    cleetusEs gibt keinen Rassismus gegen Weiße.

    Korrekt. Daß man das noch heute erklären muß, ist erstaunlich.

    --

    “It's much harder to be a liberal than a conservative. Why? Because it is easier to give someone the finger than a helping hand.” — Mike Royko
    #11220117  | PERMALINK

    bullitt

    Registriert seit: 06.01.2003

    Beiträge: 20,633

    krautathaus

    cleetusEs gibt keinen Rassismus gegen Weiße.

    Korrekt. Daß man das noch heute erklären muß, ist erstaunlich.

    Antisemitismus ist also kein Rassismus, weil Juden zu weiß sind? In welchen Bubbles kommt man denn auf die Ideen?

    --

    #11220125  | PERMALINK

    krautathaus

    Registriert seit: 18.09.2004

    Beiträge: 25,890

    bullitt

    krautathaus

    cleetusEs gibt keinen Rassismus gegen Weiße.

    Korrekt. Daß man das noch heute erklären muß, ist erstaunlich.

    Antisemitismus ist also kein Rassismus, weil Juden zu weiß sind? In welchen Bubbles kommt man denn auf die Ideen?

    Vielleicht nochmal den Post durchlesen, um den es geht…siehe Uncle Ben’s Reis. Danke. Dieses umständliche „ich dreh‘ mal die Argumentation einfach um, dann wird’s spannend“ ist halt ziemlich abgedroschen und funktioniert nicht.

    Warum sollte man „Antisemitismus“ als Rassismus gg. Weiße bezeichnen, wenn der Begriff „Antisemitismus in’s Volle trifft, und Juden aller Länder sicherlich nicht per se weiß sind?

    --

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    #11220133  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,865

    krautathaus

    cleetusEs gibt keinen Rassismus gegen Weiße.

    Korrekt. Daß man das noch heute erklären muß, ist erstaunlich.

    Naja… Frei nach Bill Clintons „That depends on what the meaning of the word ‚is‘ is“, hängt das wohl stark davon ab, wessen Definition des Begriffs „Rassimus“ man hier heranzieht. Rassistische Menschen mit Vorurteilen gegen Weiße gibt es doch wohl ohne Zweifel. Bei strukturellem Rassismus in Europa/Nordamerika sieht die Lage anders aus. Wenn man sich Länder mit Islam als Staatsreligion ansieht, dann gleich nochmal. Theoretisch werden hier natürlich Christen, Juden und Atheisten benachteiligt und nicht Weiße. Wie die Praxis aussieht, dürfte offensichtlich sein.

    --

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    #11220137  | PERMALINK

    nicht_vom_forum

    Registriert seit: 18.01.2009

    Beiträge: 5,865

    reinoUnd „Uncle Ben’s“ wird in „Ben’s Original“ umbenannt.
    https://www.mopo.de/news/panorama/nach-rassismus-vorwuerfen–uncle-ben-s–bekommt-neuen-namen-37391206
    Die Frage ist natürlich, ob das Ersetzen einer schwarzen Sympathiefigur durch eine weiße nicht auch Rassismus wäre.

    Die Frage stellt sich doch gar nicht, weil es nicht um die Hautfarbe geht, sondern um „uncle“. Gegen „Mr Ben Miller’s Rice“ hätte niemand etwas gehabt.

    --

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