Jean-Luc Godard Collection

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  • #40297  | PERMALINK

    sebsemilia

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 2,942

    Ist das ein guter einstieg in Godard ??

    Aufmerksam wurde ich durch einen artikel von Martin Büsser in der jW

    Der DVD-Boom ist in Deutschland lange Zeit an Jean-Luc Godard vorbeigegangen. Von dem großen Erneuerer des Kinos lagen gerade mal die Publikumserfolge »Außer Atem« und »Die Verachtung« auf DVD vor – und kurioserweise eine schlampig aufgemachte, nur mit deutscher Tonspur versehene DVD von dem sperrigen maoistischen Lehrfilm »Die Chinesin«. Doch in diesem Herbst hat »Tobis Home Entertainment« begonnen, eine Lücke zu schließen: Kurz hintereinander sind gleich zwei schön aufgemachte DVD-Boxen erschienen, die zwar einer seltsamen Veröffentlichungspolitik folgen, aber zumindest einige der wichtigsten Filme Godards wieder zugänglich machen. »Jean-Luc Godard Collection No. 1« versammelt die beiden 1964 entstandenen Filme »Die Außenseiterbande« und »Eine verheiratete Frau«, garniert mit der 1995 entstandenen Dokumentation »JLG/JLG – Godard über Godard«, einem eher kryptischen Selbstportrait des Regisseurs, gedreht an Godards Wohnort am Genfer See und vollgespickt mit philosophischen und kulturkritischen Reflektionen, die den Kosmos des Regisseurs eher verschleiern als zugänglich machen. Die »Jean-Luc Godard Collection No. 2« enthält dagegen nur zwei DVDs, den ultimativen Klassiker »Weekend« (1967) und das eher mäßige Spätwerk »Maria und Joseph« von 1985. Der an die biblische Vorlage angelehnte Film über die Tochter eines Tankstellenpächters, die schwanger wird, ohne je Sex gehabt zu haben, will so gar nicht zu dem aggressiv gedrehten, politisch radikalen »Weekend« passen. Wenn es den Herausgebern darum ging, den Regisseur mit möglichst unterschiedlichen Facetten aus völlig unterschiedlichen Werkphasen zu präsentiere n, dann ist ihnen das mit dieser zweiten Box gelungen. Das Publikum hätte allerdings mehr davon gehabt, wenn zum Beispiel »Tout Va Bien« von 1972 mit aufgenommen worden wäre. Der mit Jane Fonda in der Hauptrolle gedrehte Film über zwei Intellektuelle, die an einem Fabrikstreik teilnehmen, weist sehr viel mehr Gemeinsamkeiten mit »Weekend« auf, die zum Teil fast schon wie ein Selbstzitat wirken. Die berühmteste Szene von »Weekend« beispielsweise besteht aus einer etwa zehnminütigen Kamerafahrt entlang eines Staus, zermürbend langsam vorbei an Blechlawinen und Unfallopfern, während auf der Tonspur nichts weiter als permanentes, penetrantes Hupen zu hören ist. Eine vergleichbare Szene findet sich in »Tout Va Bien«: Der elend lange Kameraschwenk entlang der Kassen eines gigantischen Supermarktes, eine Massenabfertigung der Konsumenten, die plötzlich in eine Plünderung übergeht. Beide Filme entstammen Godards Phase als vielleicht politisch radikalstem Regisseur Europas, der die Studentenbewegung kritisch begleitet und sie an vielen Stellen als bürgerliche Wunschproduktion entlarvt hatte, die ohne einen Aufstand der Arbeiter und Entrechteten aus den Trikont-Staaten notgedrungen scheitern mußte.
    In die Finsternis
    »Die Scheußlichkeit der Bourgeoise ist nur noch mit größerer Scheußlichkeit zu überwinden«, heißt es in »Weekend«. Bevor dieser Anti-Film – »gefunden in einer Mülltonne«, wie es in einer Texteinblendung heißt – in einer Satire auf die vermeintlich antibourgeoisen Lebensformen der linken Boheme endet, wird in ihm das bürgerliche Lebensmodell erst einmal gründlich demontiert. Die Handlung ist schnell wiedergegeben: Das frustrierte Ehepaar Corinne und Roland machen sich auf zur Fahrt ins Wochenende, um Corinnes Eltern zu töten und an die Erbschaft zu gelangen. Die Fahrt wird zum Alptraum und führt mitten in die Finsternis einer an ihrem eigenen Wohlstand zugrunde gehenden Gesellschaft: Auf idyllischen Landstraßen türmen sich brennende Autowracks, aus Frust, im Stau nicht voranzukommen, wird geplündert, vergewaltigt und getötet. »Mad Max« ist gegenüber »Weekend« die reinste Idylle, denn in »Mad Max« sind wenigstens die Straßen frei. Kurzum, der geplante Mord gelingt, doch nach der Tat stoßen Corinne und Roland auf eine Gruppe selbsternannter Anarchisten, die als Kannibalen-Sekte durch die Wälder ziehen und schließlich auch Roland dem Kochtopf opfern. Der Menschenfleisch zubereitende Koch erinnert frappant an Hermann Nitsch, dessen Blut- und Sudel-Aktionen genau den esoterischen Kern haben, über den sich Godard bei seinen »Anarchisten« lustig macht. »Weekend« wurde häufig als nihilistischer Film mißverstanden, der überhaupt keine Perspektive neben dem Untergang mehr zuläßt, doch das ist Blödsinn: Die politischen Reden zweier Müllmänner im Film, die als Gastarbeiter die eigentlich Ausgebeuteten repräsentieren, stehen bewußt im Kontrast zur Habgier der Protagonisten und zu jenen menschenfressenden Hippies, die nichts weiter als die antizivilisatorische Kehrseite der Bourgeoisie darstellen.
    Ursache der Entfremdung
    Neben dem französischen Original gibt es auf der DVD auch die deutsche Synchronisation, die den aggressiven Ton des Originals hervorragend einfängt. Sie zeigt zugleich, wieviel freizügiger die deutschen Übersetzer in nur wenigen Jahren geworden sind – die deutsche Fassung des 1964 entstandenen Films »Eine verheiratete Frau« ist dagegen noch eine einzige Katastrophe. Selbst wer des Französischen nicht mächtig ist, kann dies nachprüfen, indem er den Ton mit den aktualisierten deutschen Untertiteln vergleicht: Im Monolog einer Putzfrau über ihr Sexualleben geht es im Original ganz schön zur Sache, Vergewaltigung in der Ehe wird bis ins kleinste Detail geschildert. In der deutschen Fassung bleibt davon fast nichts mehr übrig, Ekel ist da im Gegenteil so abgemildert worden, als handelte es sich um einen katholischen Lehrfilm über Ehehygiene. Trotz dieser Mängel ist »Eine verheiratete Frau« das eigentliche Highlight der ersten Godard-Box. »Die Außenseiterbande« wurde zum Klassiker, nicht zuletzt wegen des berühmten Wettrennens durch den Louvre, ist aber ein noch vergleichsweise konventioneller Boheme- und Rebellenfilm, während »Eine verheiratete Frau« mit langen Einstellungen auf einzelne Körperteile und irritierende Brüche zwischen Bild- und Tonspur bereits das Kino visuell aufmischt. Der Film über eine frustrierte Ehefrau, deren Verhältnis mit einem Schauspieler nicht minder frustrierend ist, zeigt bereits die ganze Enge des bürgerlichen Gefängnisses, das in »Weekend« schließlich völlig kollabiert. Kleinfamilie und Wohlstand werden hier als Ursachen für falsches Bewußtsein vorgeführt, aus dem die Protagonisten sich nicht befreien können, da sie die Ursache für ihre Entfremdung außerhalb ihres eigenen Denkens suchen.
    Erlösung
    Das Wiedersehen macht deutlich, daß Godards zwischen 1964 und 1968 entstandene Filme erschreckend aktuell geblieben sind, da sie Ideologiekritik nicht im Happy-End auflösen, auch nicht in dem einer studentischen oder sonstwie bürgerlich motivierten Revolution. Vielmehr konstatiert Godard, daß das Bürgertum sich aufgrund des falschen Bewußtseins nicht selbst retten kann. Die Rettung muß von außerhalb kommen. Adorno, der zu einem ähnlichen Schluß gekommen war, sprach in diesem Zusammenhang diffus von einem »Standpunkt der Erlösung«. Bei Godard wird es konkreter. Er verweist auf die Fabrikarbeiter und auf Afrika. Also paradoxerweise auf all jene, die sicher nicht das Zielpublikum seiner Filme darstellen.
    »Jean-Luc Godard Collection No.1« 3 DVDs, »No. 2« 2 DVDs (Tobis Home Entertainment)

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    #5454057  | PERMALINK

    punkcow

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 9,235

    sebsemiliaIst das ein guter einstieg in Godard ??

    Bei aller Großartigkeit von „Weekend“ würde ich als Einstieg eher „Die Geschichte der Nana S.“ oder „Maskulin – Feminin“ empfehlen. Ich besitze übrigens beide Boxen und bedaure, dass es offensichtlich nicht mehr geben wird.

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    #5454059  | PERMALINK

    fifteenjugglers
    war mit Benno Fürmann in Afghanistan

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 11,590

    Punkcowund bedaure, dass es offensichtlich nicht mehr geben wird.

    Ist das amtlich oder nur Vermutung?

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    "Don't reach out for me," she said "Can't you see I'm drownin' too?"
    #5454061  | PERMALINK

    punkcow

    Registriert seit: 08.07.2002

    Beiträge: 9,235

    FifteenJugglersIst das amtlich oder nur Vermutung?

    Eine Vermutung, ich habe jedenfalls bisher nichts über Nachfolgerboxen in Erfahrung bringen können. Einige Filme erscheinen derzeit ja auch einzeln auf DVD.

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    #5454063  | PERMALINK

    latho
    No pretty face

    Registriert seit: 04.05.2003

    Beiträge: 37,679

    Na besser als gar nichts. „Vivre sa vie“ gibt es ja in einer schönen Aufmachung (zumindest in der älteren Version) – über die Untertitel kann ich da nichts sagen.

    Dieser Satz ist allerdings klasse:

    „»Mad Max« ist gegenüber »Weekend« die reinste Idylle, denn in »Mad Max« sind wenigstens die Straßen frei.“

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    If you talk bad about country music, it's like saying bad things about my momma. Them's fightin' words.
    #5454065  | PERMALINK

    sebsemilia

    Registriert seit: 09.07.2002

    Beiträge: 2,942

    dann schaue ich mich mal nach einzel dvds um ….

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