Jazz & Brasil

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  • #11117353  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

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    2. bewegung: west coast jazz & cool samba

    laurindo almeida lernt am set von A SONG IS BORN (howard hawks, 1948) den bassisten harry barbasin kennen. beide treten 1953 als duo auf und beschließen, noch einen drummer und einen saxofonisten zu engagieren – mit roy harte (mitgründer von pacific jazz records) und bud shank steht das quartett fest. das material kommt im wesentlichen von almeida, wird aber harmonisch und rhythmisch angepasst (harte spielt conga statt drums, also ein kubanisches instrument). sie spielen zur gleichen zeit wie das chet baker/gerry mulligan quartet im the haig club in los angeles. sechs wochen später, anfang 1954, nimmt das „laurindo almeida quartet“ für pacific zwei 10“-lps auf (VOL. 1 & 2, später als BRAZILLIANCE wiederveröffentlicht).

    durch das 12“-reissue werden die aufnahmen populärer und almeida und shank nehmen 1958 und 1959 zehn weitere brasil-jazz-stücke auf, diesmal mit gary peacock (b) und chuck flores (dm), für LATIN CONTRASTS und HOLIDAY IN BRAZIL (world pacific 1959).

    Bud Shank: In all fairness, you really can’t categorize what we did on those dates as “bossa nova.” The rhythm section was wrong. The basis wasn’t there yet.

    JW: What was the difference between the 1953 recording and the 1958 and 1959 recordings?
    BS: Nothing, really. We had nothing from Brazil to listen to. It was more of the same, just a little more modern. We were bringing our own sound and marrying it to the Brazilian rhythm. The 1958 and 1959 recordings were part of the development that influenced Rio, which in turn influenced Charlie Byrd and Stan Getz.

    JW: So your records were heard in Rio, which inspired the Brazilians to develop bossa nova. In turn, their late-1950s records influenced Charlie Byrd and Stan Getz and others up here in the early 1960s?
    BS: My records—but also the recordings of Gerry [Mulligan], Chet [Baker], [Paul] Desmond, [Dave] Brubeck and many West Coast Jazz artists. They also were part of that same development. Nothing from New York was involved.

    1959 werden die pacific-alben in brasilien über das label „musidisc“ vertrieben. die aussagen der brasilianischen musiker und komponisten, die später das material für die bossa nova lieferten, sind, was den einfluss des west-coast-jazz angeht, widersprüchlich. gilberto hat mehrfach chet baker als einfluss (vor allem für seinen gesang) genannt, an anderer stelle den martiniquanischen sänger henri salvador. gilberto und donato waren sinatra-fans und haben sich in einer crooner-gruppe kennengelernt. jobim hat sich mehrfach auf mulligan berufen, aber später ravel und debussy als haupteinflüsse genannt. die gitarristen haben auf barney kessel verwiesen, die pianisten auf us-amerikanische bigbands, u.a. auch kenton. dass die coolifizierung des samba unter dem einfluss von (west-coast-)jazz stattgefunden hat, scheint ziemlich plausibel.

    bei almeida schließt sich spätestens der kreis, als er im märz 1963 mit stan getz und (uncredited) tom jobim für verve STAN GETZ WITH GUEST ARTIST LAURINDO ALMEIDA aufnimmt.

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    #11117355  | PERMALINK

    vorgarten

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    3. bewegung: orfeu negro, chega de saudade, bossa nova

    mitte der 1950er jahre besteht die urbane populäre musik brasiliens im wesentlichen aus samba-cançãos, samba-liedern, das waren angejazzte schlager mit melodramatischen inhalten im verlangsamten samba-rhythmus, oft gesungen von charismatisch-divösen sängerinnen. die jugend bevorzugt die sich an sinatra orientierenden, also wenig verzierenden sänger wie lúcio alves oder johnny alf (die später auch der bossa nova zugerechnet wurde). das populärste instrument (auch der jugend) ist das akkordion (u.a. gespielt von joão donato), es gibt außerdem diverse crooner-gruppen (leidlich bekannt wird in den gartos da lua z.b. joão gilberto).

    der zunächst bei continental, dann bei odeon als arrangeur arbeitende und als nachtclub-pianist auftretenden antônio carlos jobim (1927-94) nimmt 1954 mit billy blanco die 10“ „sinfonia do rio de janeiro“ auf, die ein misserfolg wird. kurz danach trifft er den literaten und politiker vinícius de moraes, der zuvor 3 jahr in paris als brasilianischer vizekonsul verbracht und dort ein libretto für ein musical namens „orfeu da conceição“ verfasst hat, das griechische tragödienmotive im karneval von rio ansiedelt. vorbild war interessanterweise „cabin in the sky“ (1943), der erste großbudgetierte hollywoodfilm mit afroamerikanischer besetzung, der vom schicksal eines mannes erzählt, um den engel und der teufel ringen – u.a. louis armstrong, lena horne und das orchester von duke ellington treten darin auf.

    jobim wurde für die liedkompositionen engagiert, das stück hat am 25. september 1956 im stadttheater von rio de janeiro premiere – auch hier ist der hauptsächlich schwarze cast ein novum auf brasilianischen bühnen. das bühnenbild ist von oscar niemeyer, der gitarrist ist luiz bonfá (1922-2001). die lieder (u.a. „se todos fossem iguas a você“, „um nome de mulher“, „lamento no morro“) werden kurz danach von odeon auf einer 10“ veröffentlicht, de moraes spricht die monologe, jobim leitet das orchester, allerdings wird als lead der schnulzensänger roberto paiva verpflichtet.

    in den usa nimmt luiz bonfá für atlantic 1958 ein sparsames gitarren-„foklore“-album auf (AMOR! THE FABULOUS GUITAR OF LUIZ BONFA), das neben vielen exotica auch den „samba de orfeu“ unter dem titel „carnival“ enthält

    joão gilberto (1931-2019) verbringt bis zum mai 1956 8 monate bei seiner schwester in minas gerais und entwickelt einen neuen gitarren- und gesangsstil: leise, sparsam, mit akkorden, die gleichzeitig den rhythmus vorgeben und einem flexiblen rhythmus, der wiederum offen ist für neue akkorde. „bim-bom“ und „hô-ba-la-lá“ entstehen. jobim, der sich mit verminderten akkorden bei debussy und ravel beschäftigt, beschließt, mit ihm zusammenzuarbeiten und holt eine ältere komposition aus der schublade, „chega de saudade“, ein samba-canção. auf dem von jobim produzierten neuen album von elizete cardoso, CANCAO DE AMOR DEMAIS, singt sie es zur „neuen“ gitarrenbegleitung von gilberto (ohne credit). das album wird kein erfolg.

    im juli 1958 nimmt gilberto „chega de saudade“ nochmal, von jobim viel sparsamer arrangiert, auf single auf. die b-seite ist „bim-bom“. am schlagzeug sitzt milton banana, der einen auf gilberto abgestimmten leisen drumstil entwickelt hat. auf umwegen wird die single zuerst in são paulo ein hit, später in rio.

    joão donato bleibt mit seinen einspielungen (u.a. das mit gilberto geschriebene „minha saudade“) erfolglos und geht 1959 über mexiko für 13 jahre nach kalifornien, wo er u.a. mit cal tjader und eddie palmieri spielt.

    die erste welle der neuen musik verändert die populäre musik brasiliens grundlegend: jugendliche lernen gitarre spielen, der begriff „bossa nova“ wird in einem ankündigungstext für ein uni-konzert geboren, jobim schreibt mit newton mendonçã ende 1958 „desafinado“, in dem der ausdruck fällt („isto é bossa nova, isto é muito natural“). ein weiterer angeschlossener zirkel von komponisten und liedermachern bildet sich in einer gitarrenakademie und dem apartment der sängerin nara leão, um carlinhos lyra, ronaldo boscoli und rôberto menescal.

    im januar und februar 1959 nimmt gilberto sein erstes album auf, von jobim arrangiert, darauf ist u.a. „desafinado“ zu finden.

    in der zwischenzeit entsteht mit französischem geld die filmadaption von ORFEU NEGRO. da der produzent sacha gordine an den kompositionen verdienen will, gibt er komplett neue songs in auftrag. jobim und de moraes komponieren „a felicidade“ (eine bossa nova), „o nosso amor“ und „frevo“, für weiteres material wird luis bonfá angefragt, der auf dem sprung in die usa ist. er holt zwei songs aus der schublade, für die es nur noch texte braucht: „manhã de carnaval“ und „samba de orfeu“. für den soundtrack wird alles von elizete cardoso und agostinho dos santos eingesungen, gilbertos stimme klingt „nicht schwarz genug“.

    er selbst nimmt vier songs auf einer 45er doppelsingle auf, die zum brasilianischen kinostart im sommer 1960 herauskommen:

    zusammen mit gilbertos debütalbum ist die bossa nova in brasilien angekommen. ORFEU NEGRO erhält die goldene palme von cannes im mai 1959 und wurde mit dem oscar für den besten „fremdsprachigen“ film des jahres ausgezeichnet. die songrechte wurden über gordine weltweit, vor allem aber in die usa lizensiert. erste jazzversionen von „manhã de carnaval“ (als „black orpheus“, „theme from black orpheus“, vokalversionen ab 1963: „carnival“ und ende der 60er „a day in the life of a fool“) gab es vor und zeitgleich zu den aufnahmen von JAZZ SAMBA (byrd/getz) 1961 (rocky byrd, wayne shorter, erste vokalversion 1962 von pat thomas, gefolgt von ella fitzgerald).

    gilbertos zweites album O AMOR, O SORRISO E A FLOR wird zwischen märz und august 1960 aufgenommen, wieder von jobim produziert und arrangiert, es enthält weitere seiner klassiker: der ein-noten-samba (samba de uma nota só“), „meditação“, „corcovado“, „outra vez“. es wird von capitol im gleichen jahr als BRAZIL’S BRILLIANT JOAO GILBERTO in den usa herausgebracht.

    im mai 1960 begleitet joão gilberto seine frau astrud in einer der neuen bossa-nova-shows. in radio- und tv-sendungen werden die jungen stars der neuen musik vorgestellt. lena horne lernt „bim-bom“ auf portugiesisch und singt es im mai im copacabana palace, bevor sie gilberto kennenlernt. sarah vaughan versucht, johnny alf dazu zu bewegen, ihr nächstes album zu arrangieren. nat king cole nimmt in rio mehrere stücke mit sylvia telles auf, der frau des odeon-präsidenten aloysio de oliveira (sie ist „dindi“ in jobims gleichnamigen song und trat anfang der 1960er mit barney kessel in den usa auf).

    eine letzte kuriosität vor der hit-single-einspielung von „desafinado“ durch getz und byrd war das album des west-coast-jazzpianisten vince guaraldi, JAZZ IMPRESSIONS OF BLACK ORPHEUS, das im april 1960 in den usa erschien. darauf waren drei bonfa/jobim-kompositionen, von denen „samba de orpheus“ als erste single ausgekoppelt wurde. ein hit wurde allerdings die b-seite, „cast your fate to the wind“, die mit brasilien nichts zu tun. sie erhält den grammy für die beste instrumentale jazzkomposition des jahres. guaraldi nimmt 1964 mit dem gitarristen bola sete auf.

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    #11117357  | PERMALINK

    vorgarten

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    4. bewegung: the bossa nova fad – state department tour, JAZZ SAMBA, carnegie hall concert, garota de ipanema

    als charlie byrd und stan getz am 13.2.1962 JAZZ SAMBA aufnehmen, ist die bossa nova tatsächlich noch kaum in den usa angekommen, liegt aber sozusagen in der luft. die orfeu-songs kursieren, ein paar kompositionen von gilberto, für die er zusammen 317 dollar bekommen hatte (die lizenzgeschäfte von sascha gordine werden mittlerweile als „der große bossa-nova-raub“ bezeichnet), gilbertos album mit einigen jobim-kompositionen liegt in einer us-ausgabe vor, es gibt verbindungen zwischen dem washingtoner dj felix grant mit seinem kollegen aus rio, paulo santos, der 1960 in newport vergeblich versucht hatte, die alben von joão gilberto george wein und anderen vorzustellen. herb ellis und herbie mann nehmen den „one-note samba“ in hollywood im oktober 1961 für ellis‘ SOFTLY…BUT WITH THAT FEELING auf.

    zwei jahre nach der kubanischen revolution betreibt die usa cold-war-imagepflege und schickt einige herausragende jazzmusiker nicht mehr nur nach afrika und in den ostblock, sondern auch auf südamerika-tour (18 staaten in 12 wochen). dabei sind u.a. herbie mann, al cohn, zoot sims, tommy flanagan, ben tucker, dave bailey, kenny dorham, curtis fuller, colemann hawkins, ahmad abdul-malik und dizzy gillespie (mit lalo schiffrin und leo wright). gespielt wird hardbop: „caravan“, „a night in tunisia“ usw. fast alle mitreisenden nehmen ab 1962 angesichts des durch JAZZ SAMBA ausgelösten bedarfs eigenes oder authentisches bossa-nova-material auf. aus der brasilianischen perspektive ist ein mitgeschnittenes konzert in rio (im teatro municipal, dem uraufführungsort vom „orfeu“) am 16.7.1961 ein großer erfolg:

    THE NIGHT of 16 July 1961 was one of the most auspicious event for the Brazilian public, providing a concert of the highest musical expression with first class jazzmen. Aside from the performances of the orchestras of Dizzy Gillespie in 1959 and Duke Ellington in 1971, no other exceeded the American Jazz Festival.
    (…)
    Some Brazilian musicians participated in these „sessions after hours“, a fellowship, the most wholesome and profitable.
    In one, the drummer Turquinho joined Tommy Flanagan and Ben Tucker; on another occasion was Luís Chaves who played with the Americans. Another time, Ahmed Abdul Malik tried bossa nova, leaving the audience amazed at their immediate adaptation to our Brazilian rhythm.
    As Dave Bailey manifest interest in learning the Brazilian rhythm, he asked the drummer Elisha a demonstration of authentic samba, which was done under general applause of the spectators of the club „Fanney`s“. On another night, Dizzy Gillespie participated in one of the jam sessions as a pianist, and was also playing with musicians from São Paulo.
    This season presented unforgettable jazz moments, but it was also the mark of a historical fact for Brazilian music, as these jazzmen were interested in the bossa nova, spreading it extensively in the USA, giving to our music the highlight that projected it Worldwide.

    so die übersetzten liner notes aus der vollständigsten mitschnitt-kompilation, die 1972 in brasilien schon rückschau betreibt (JAZZ NO MUNICIPAL, imagem jazz, 2xvinyl). in den usa kommt 1963 diese ausgabe mit sehr viel weniger stücken heraus (das gleiche material, kurz danach umverpackt, lief mal unter dem namen von dorham, mal von mann):

    das brubeck quartet sagt kurz vor der tour ab, an seiner stelle fährt charlie byrd mit seinem bassisten keter betts und dem drummer buddy deppenschmidt. sie sind zwischendurch eine woche in salvador de bahia, wo betts und deppenschmidt bei einer gitarrenbegeisterten familie die musik von gilberto hören, am nächsten tag dessen bisherige zwei alben kaufen und sich einen plattenspieler von der amerikanischen botschaft ausleihen.

    die geschichte des bossa-begeisterten byrd, der nach der tour zu creed taylor rennt, hat sich mittlerweile als unglaubwürdig herausgestellt (byrd war zu dem zeitpunkt bei riverside unter vertrag). tatsächlich hat der gitarrist keine lust auf das material, an dem deppenschmidt und betts arbeiten. auch orrin keepnews winkt ab. keter betts schlägt eine zusammenarbeit mit stan getz vor, den er bei dinah washington kennengelernt hat. der sagt zu, creed taylor auch. dann gibt es eine legende, nach der byrd, ohne es betts und deppenschmidt zu sagen, nach new york fliegt und mit getz und roy haynes bossa-nova-nummern aufnehmen will, was aber nach ein paar versuchen abgebrochen wird. also findet die JAZZ SAMBA session in washington im februar 1962 statt. sie dauert nur zwischen 3 und 4 stunden. das arrangement ist sparsam, obwohl zwei drummer und zwei bassisten (byrds bruder wechselt zwischen bass und rhythmusgitarre) dabei sind. das material besteht aus 2 jobim-kompositionen, aber auch zwei alten stücken von barroso, dazu das merkwürdige von gilberto popularisierte enten-lied „o pato“, ein stück von baden powell und ein original von byrd. creed taylor mag die kuhglocken(?)begleitung von deppenschmidt nicht, aber „desafinado“ wird in einer auf die hälfte gekürzten version als single ausgekoppelt und erreichte die top 20.

    eine komplett andere geschichte, wie stan getz auf die bossa nova kam, erzählt castro: es sei der kalifornische bassist don payne gewesen, der u.a. nach seiner beteiligung an ornette colemans SOMETHING ELSE-album nach new york ging, dort mit tony bennett arbeitete, mit diesem 1961 in brasilien tourte und ihn am strand mit jobim, astrud und joão gilberto und später seinen freund getz mit der neuen brasilianischen musik bekannt machte. bennett selbst behauptet, die djs in san francisco kurz danach auf gilberto gebracht zu haben. don payne lernte portugiesisch, spielte 1962 mit herbie mann bossa-material ein, war am getz/bonfá-album beteiligt, begleitete astrud gilberto auf ihren späteren alben, ging 1966 sogar mit joão kurz zurück nach brasilien und war eng mit jobim befreundet.

    meanwhile in brazil…
    1961, als die us-amerikanischen jazzer kommen, ist in brasilien alles „bossa nova“, von waschmaschinen über fußballsiege (brasilien wurde 1958 und 1962 weltmeister) bis hin zu uniformen, die modernisierungswelle der vierjährigen kubitschek-präsidentschaft täuscht kurz über den desaströsen staatshaushalt hinweg, die beiden glücklosen nachfolger (da silva quadros und goulart) versuchen eine größere unabhängigkeit von den usa zu erwirken (kein wunder, dass die plötzlich jazzmusiker schicken). alle popmusiker spielen bossa nova, jobim & de moraes schreiben für den schnulzensänger mário reis „o grande amor“, die aufkommende jazzszene (meirelles, powell, das tamba trio, airto moreira, dom um) trifft sich sonntags zu sessions im „little club“ und abends im „bottles“ (beides in rio, versteht sich). es entsteht so etwas wie eine „hard bossa nova“, mit lautem, treibendem schlagzeug. damit hatten gilberto & co. eher nichts mehr zu tun. bis september 1961 nimmt dieser sein drittes album für odeon auf, das einfach nur JOAO GILBERTO heißt, u.a. mit seinen versionen von „insensatez“, „o amor em paz“, „você e eu“, „o barquinho“ und „o samba da minha terra“. es verkauft sich substanziell schlechter als die beiden vorgänger und deutet damit eine bossa-übersättigung in brasilien an. im tv singt gilberto den samba da minha terra in einer bossa-nova-show:

    castro behauptet, dass die „ursprünglichen“ bossa-erfinder auf diese entwicklungen mit einer kurzen initiative der „purifizierung“ ihrer musik reagierten. de moraes geht mit baden powell in klausur und schreibt eine reihe von „afro-brasilianischen“ sambas (u.a. „berimbau“ und „cantos“ für afrobrasilianische götter) – das album (OS AFRO-SAMBAS) wird allerdings erst 1966 aufgenommen. mit jobim und gilberto (und der männer-gesangsgruppe os cariocas) ist de moraes außerdem im august 1962 protagonist einer bossa-nova-show im nachtclub „au bon gourmet“, die heute als letzter höhepunkt der bossa in brasilien gilt. die beteiligten steuerten neue songs bei, u.a. „a garota de ipanema“ und „só danço samba (jobim/ de moraes), „samba de avião“ (jobim) und den „samba de bênção“ (powell/ de moraes). es gibt einen mitschnitt:


    das carnegie-hall-konzert am 21.11.1962
    , zu dem mit gilberto, jobim, bola sete, oscar castro-neves, agostinho dos santos, robeto menescal, sergio ricardo, carlos lyra, luiz bonfá und sérgio mendes die wichtigsten vertreter*innen der bossa in new york auftauchen, ging auf eine zusammenarbeit des brasiliansichen außenministeriums und der plattenfirma audio-fidelity zurück, deren chef sidney frey vorher in den verträgen festgelegt hatte, dass alle us-rechte an den songs, die an diesem abend gespielt werden sollten, an seine firmen fallen sollten – nach dem erfolg des byrd/getz-albums fehlte es vor allem an neuem material. jobim verzichtet klugerweise darauf, das neue „garota de ipanema“ zu spielen. zu den gästen im publikum gehören miles davis, peggy lee, tony bennett, dizzy gillespie, gerry mulligan, erroll garner und herbie mann. das konzert wird nach brasilien, aber auch nach moskau übertragen, der audio-fidelity-mitschnitt erscheint 1963.

    mehrere brasilianer unterschreiben an diesem abend verträge für engagements in den usa. es gibt ein treffen zwischen jobim, gilberto, creed taylor und stan getz mit der idee, ein gemeinsames album aufzunehmen. eine zweitere, kleinere, bossa-nova-show in washington zwei wochen später endet mit einer einladung ins weiße haus.

    im jahr 1962 häufen sich die alben von us-jazzmusikern mit bossa-nova-material. cal tjader nimmt mit laurindo almeida und clare fischer zeitgleich zu getz & byrd diverse bossa-stücke auf, u.a. „meditação“ (CAL TJADER PLAYS THE CONTEMPORARY MUSIC OF MEXICO & BRAZIL), herbie mann kurz danach „desafinado“ und die „manha“ (RIGHT NOW), bevor er 1962 wieder auf tour in brasilien ist, dort DO THE BOSSA NOVA aufnimmt (u.a. mit jobim) und zuhause mit BRAZIL BOSSA NOVA AND THE BLUES nachlegt. miles nimmt mit gil evans „corcovado“ auf (für QUIET NIGHTS), paul winter ist ebenfalls auf der zweiten state-department-tour-dabei, nimmt mit seinen musikern in brasilien auf, steigt danach aber mit brasilianischen musikern noch tiefer ein (mit bonfá und menescal entsteht 1963 RIO, mit carlos lyra 1964 THE SOUND OF IPANEMA). 1962 entstehen außerdem BOSSA NOVA von shorty rogers, getz‘ zweiter streich mit gary mcfarland (der die meisten songs schreibt und us-musiker verpflichtet) BIG BAND BOSSA NOVA, CANNONBALL’S BOSSA NOVA (mit mendes und anderen brasilianern), bud shanks und clare fischers BOSSA NOVA JAZZ SAMBA, brubecks BOSSA NOVA U.S.A. (mit eigenen stücken).

    1963 ist jobim in den usa angekommen und nimmt für creed taylor mit streicherarrangements von claus ogerman eine instrumentale werkschau seiner größten hits auf: THE COMPOSER OF DESAFINADO, PLAYS. getz wird von jobim mit den brasilianischen gitarren-veteranen bonfá und almeida zusammengebracht, bevor die abgesprochene zusammenarbeit mit den beiden gilbertos stattfindet (GETZ/GILBERTO, nächster mythos: astrud singt bei der gelegenheit zum ersten mal, was quatsch ist), der nächste single-hit entsteht („girl from ipanema“ mit dem herausgekürzten gesangspart von joão), das album wird aber hinter den beatles nur noch platz 2 der charts. ein neues zeitalter ist angebrochen.

    jon hendricks‘ vocal-bossa-album ¡SALUD! JOAO GILBERTO, ORIGINATOR OF THE BOSSA NOVA von 1963 markiert die erste welle von bossa-songs mit englischen lyrics, viel schlechtere kamen anschließend durch den drittklassigen texter ray gilbert (es bleibt eine große vertane chance, die poesie der originale adäquat ins englische zu übersetzen). die angeblich erste bossa-gesangsplatte nimmt zoot sims mit der us-amerikanisch-philippinischen sängerin vi velaso auf, deren brasilianischer song-anteil allerdings sehr dürftig ausfällt. der frühzeitig in den us-brasilien-austausch involvierte argentinier lalo schiffrin arrangiert dagegen ein schönes album für die eher unbekannte pat thomas, die damit die erste vokalversion von „desafinado“ auf den markt bringt – dicht gefolgt von einer single von ella fitzgerald (arrangement: marty paich).


    dizzy gillespie ist der erste us-jazzer, der „desafinado“ aufnimmt (1961 in monterey, also noch vor JAZZ SAMBA), diese version bleibt aber bis in die 70er im archiv.

    die auklingende bossa&samba-jazz-welle in den usa kann man – wie marc myers – kurz an einigen titeln festmachen:

    Bossa Nova Carnival: Dave Pike Plays the Music of Joao Donato; Gene Ammons’s Bad! Bossa Nova; Ramsey Lewis’s Bossa Nova; Charlie Byrd’s Bossa Nova Pelos Passaros; Laurindo Almeida’s Viva Bossa Nova and Ole! Bossa Nova; Ike Quebec’s Bossa Nova Soul Samba; Lalo Schifrin’s Piano, Strings & Bossa Nova; Zoot Sims’s New Beat Bossa Nova Vols. 1 and 2; Eddie Harris’s Bossa Nova; Charlie Rouse’s Bossa Nova Bacchanal and George Shearing’s Bossa Nova.

    nach GETZ/GILBERTO geht astrud mit stan auf tour, ihr ex-mann mit seiner neuen frau miúcha nach new york. GETZ/GILBERTO #2 entsteht 1964 bei einem carnegie-hall-conzert zweier getrennter bands. gilbertos nächstes album kommt erst 1970 in mexiko heraus. nach dem miltärputsch in brasilien ruft nara leão das ende der bossa nova aus – sie hat keine lust mehr darauf, „wohnzimmerliedchen für zwei, drei intellektuelle“ zu singen. die vorher noch uraufgeführte show „opinão“ (nach dem gleichnamigen album) schlägt eine musikalisch deutlich härtere gangart an und hat protestlieder im programm – die komponisten, texter und musiker sind z.t. die gleichen wie zur bossa-zeit.

    1968 eröffnet das stan kenton orchestra in chicago für sérgio mendes. luiz bonfá lässt 1967 den jungen pianisten und arrangeur emir deodato nach new york kommen und modernisiert seinen sound. und im gleichen jahr geht für jobim ein traum in erfüllung: frank sintra nimmt mit ihm auf und singt seine songs (FRANCIS ALBERT SINATRA & ANTONIO CARLOS JOBIM, den grammy verlieren sie allerdings an das sgt-pepper-album der beatles).

    1966 sagt dionne warwick in rio zu roberto menescal: „erzählen sie mir doch keine geschichten – jeder mensch weiß, dass burt bacharach die bossa nova erfunden hat!“

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    #11117441  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,463

    Danke Dir, das ist sehr hilfreich! Und das Interview mit Bud Shank oben klingt ja eigentlich ganz gescheit

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    #11117449  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 11,957

    danke. für die nächsten beiden teile brauche ich noch ein paar tage. à propos barney kessel, gerade nachgelesen: das album, was wohl zur gründung einiger brasilianischer gitarrenschulen führte, war julie londons JULIE IS HER NAME, mit kessel, von 1955…

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    #11117505  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 66,988

    Danke auch von meiner Seite – sehr interessant! Und ich bin auf Teile 3 und 4 gespannt :good:

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    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11122595  | PERMALINK

    friedrich

    Registriert seit: 28.06.2008

    Beiträge: 4,870

    Vielen Dank, @vorgarten!

    Ich selbst hatte / habe nur rudimentäre Kenntnisse von Jazz-goes-Brazil-goes-Jazz aber bin damit immerhin in die Vergangenheit bis zum Orfeu Negro-Soundtrack vorgestoßen (den Film kenne ich leider nicht) und habe darüber Luiz Bonfá kennen und lieben gelernt, z.B. mit Solo-Aufnahmen von 1959. Laurindo Almeidas und Bud Shanks Brazilliance steht schon lange bei mir auf dem Wunschzettel. Den entscheidenden Klick! habe ich angeregt von Deinen Ausführungen am Wochenende endlich getätigt.

    Ich bleibe gespannt!

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    „Für mich ist Rock’n’Roll nach wie vor das beste Mittel, um Freundschaften zu schließen.“ (Greil Marcus)
    #11122959  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 11,957

    friedrich
    Ich bleibe gespannt!

    schön. post #4 ist noch nicht fertig, zu bonfá komme ich noch.

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    #11126553  | PERMALINK

    brandstand3000

    Registriert seit: 29.12.2016

    Beiträge: 222

    @vorgarten
    tolles nachschlagewerk! vielen dank für die arbeit. und macht wieder große lust auf brasilianisches und brasilifiziertes.

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    #11126559  | PERMALINK

    brandstand3000

    Registriert seit: 29.12.2016

    Beiträge: 222

    vorgartendanke. für die nächsten beiden teile brauche ich noch ein paar tage. à propos barney kessel, gerade nachgelesen: das album, was wohl zur gründung einiger brasilianischer gitarrenschulen führte, war julie londons JULIE IS HER NAME, mit kessel, von 1955…

    wirklich ein sehr schöner gitarrensound.

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    #11126561  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 11,957

    brandstand3000
    tolles nachschlagewerk! vielen dank für die arbeit. und macht wieder große lust auf brasilianisches und brasilifiziertes.

    aber post #4 ist immer noch nicht fertig ;-) ich sag bescheid.

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    #11126837  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 11,957

    so, mein kleiner überblick über den bossa-jazz bzw. die jazz-samba, der auf seite 3 anfängt, ist fertig.

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    #11126985  | PERMALINK

    go1
    Gang of One

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    vorgartenso, mein kleiner überblick über den bossa-jazz bzw. die jazz-samba, der auf seite 3 anfängt, ist fertig.

    War informativ. Danke dafür.

    --

    To Hell with Poverty
    #11127061  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

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    vorgarten
    1966 sagt dionne warwick in rio zu roberto menescal: „erzählen sie mir doch keine geschichten – jeder mensch weiß, dass burt bacharach die bossa nova erfunden hat!“

    :-) – das ist kein Mythos?

    Danke jedenfalls für den sehr lesenswerten Überblick!

    --

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    vorgarten

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    gypsy-tail-wind

    vorgarten
    1966 sagt dionne warwick in rio zu roberto menescal: „erzählen sie mir doch keine geschichten – jeder mensch weiß, dass burt bacharach die bossa nova erfunden hat!“

    – das ist kein Mythos?

    ich finds ja gar nicht so falsch ;-)

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