Die beste Version von … "Summertime" und anderen Stücken

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    bullschuetz

    Registriert seit: 16.12.2008

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    Pheebee Das kommt bei mir ganz anders an. Der Text ist erstmal gar nicht traurig, sondern die Sängerin (Bess) erfreut sich am Sommer, in dem sie springende Fische beobachtet, während die Baumwolle reif ist. Da kommt auch was Beschützendes zu Vorschein, schließlich ist es ein Wiegenlied. Erst die Musik macht im Grundton etwas trauriges daraus. Man kann natürlich in der Interpretation das ganze Ding dramatisieren, ändert aber für mich von der Grundidee, wie das Lied mal gedacht war, nur wenig.

     

    Da möchte ich widersprechen. Ich glaube nicht, dass man zwischen „erstmal Text“ und „dann erst die Musik“ unterscheiden sollte. Denn wenn wir das Lied hören, besteht es von Anfang an simultan aus beidem, aus Text und Melodie. Und die Melodie stellt von Anfang an in Frage, was der Text (zunächst tatsächlich in einem ganz schlichten, ein Idyll hintupfenden Ton) beschreibt: Klingt es wirklich so, wenn die Fischlein springen? Dem ganzen Lied ist eine gezielte Reibung eingeschrieben, so ein „Hier stimmt doch was nicht“-Gefühl: Ist diese Sommerszene eine Zustands-Aufnahme oder ein Wunschtraum-Gebilde? Ein Besingen des gegenwärtigen Friedens oder die Beschwörung einer besseren Zukunft, die hinausführt aus der täglichen Bedrückung?

    Beispiel: Die Zeile „The living is easy“ – genau  die Silbe „ea-“ liegt voll auf dem Grundton der Molltonart, und bei der Silbe “-sy“ erreicht die Melodie ihren tiefsten Grund, sie sackt förmlich ab, an keiner Stelle geht der Song tiefer runter als hier. Ausgerechnet da, wo der Text sagt, das Leben sei leicht, ist die Melodie erdenschwer. Der Zuruf an das Kind, „hush, little baby“, öffnet später dann für einen Moment den Horizont ins Dur, es folgt die Beschwörung „don’t you cry“ – und genau beim „cry“ sind wir wieder voll auf dem Grundton der Molltonart. Großartig gemacht! Die Melodie rückt den Text sozusagen in den Sehnsuchtsmodus.

    Im übrigen besingt ja bereits der Text durchaus nicht nur das schöne Wetter: „your daddy’s rich“, heißt es da, plötzlich kippt die Fische/Baumwolle-Szenerie ins Ökonomische – das ist für sich genommen schon eine Irritation, das Moll aber legt nahe, das der ein sorgloses Leben ermöglichende Reichtum des Vaters nur imaginiert ist. Und vergessen wir nicht die zweite Strophe: „Eines Morgens wirst du dich erheben, um zu singen, deine Flügel ausbreiten und zum Himmel aufsteigen“, hinausfliegen über das Elend, in dem du steckst, das ist eine klassische Erlösungshoffnung, da sind wir jetzt schon fast bei Sam Cooke und A change is gonna come: “Ich wurde geboren unten am Fluss in einem kleinen Zelt“, inmitten der Armut, im randständigsten Milieu, „aber ich weiß“ – ich glaube, ich wünsche, ich ersehne – „ein Wandel wird kommen.“

    Wenn wir dann noch den Kontext mitbedenken, in dem Summertime ursprünglich stand, wird alles noch deutlicher: Porgy & Bess handelt ja von dem – letztlich ziemlich vergeblichen – Versuch, aufzubrechen in ein besseres Leben, hinaus aus dem Milieu der rassistisch Ausgegrenzten, der Bettler, der perspektivlosen Kleinkriminellen, der Marginalisierten. Insofern nimmt „Summertime“ in einer Nussschale alles vorweg, worum es in der Oper geht. Danke, soulpope, in diesem Zusammenhang für den Hinweis auf die Text-Schreibweise „yo daddy’s rich an yo ma is good lookin“ – da treten Dia- und Soziolekt deutlich hervor, es wird vollends klar, dass diese Sommer-Phantasie in einem prekären schwarzen Milieu angesiedelt ist, in einer Welt, die ziemlich abgeschnitten ist von ökonomischen Chancen und Bildungsperspektiven.

    Wahrhaftig ein ganz großes Lied. Und dass es so bescheiden daherkommt, als Wiegenlied, als beruhigende Nichtigkeit für einen Säugling, macht alles noch genialer.

     

    zuletzt geändert von bullschuetz

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    #9857257  | PERMALINK

    pheebee
    den ganzen Tag unter Wasser und Spaß dabei

    Registriert seit: 20.09.2011

    Beiträge: 33,670

    Ich sehe da überhaupt keine Diskrepanz mit Grund zum Widerspruch zu meiner Aussage/Wahrnehmung, ja, unterstütze das Geschriebe auch soweit. Ich bin doch gar nicht für eine Trennung von Text und Musik in dem Maße eingetreten. Darin ist mein Beitrag evtl. mißverständlich und der Eindruck nicht beabsichtigt gewesen. A.m.S. verbreitet das Lied trotzdem positive Stimmung.

    Meine Reaktion kommt nur daher, weil früher hier darauf relativ vehement hingeweisen wurde, dass man doch dringlichst auf den Text achten sollte, da er doch so unfassbar traurig wäre. Das ist er eben meiner Ansicht nach nicht vollständig. NAchdenklich, ja, aber traurig ? Nicht rundheraus. Und ich sehe da auch insgesamt das Zusammenspiel aus Text und Musik, das dieses Lied natürlich zum Evergreen macht/gemacht hat.

    --

    Ever tried. Ever failed. No matter. Try Again. Fail again. Fail better. Samuel Beckett
    #9857263  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    an bullschuetz:

    oh, ich trau meinen Augen nicht.

    Wie ich mich freue über diesen Beitrag; ich habs zwar nicht so mit Moll u.s.w.

    aber dass dieses „Wiegenlied“ ein Wunschdenken ist, so wie man eben Säuglinge oder Kleinkinder durch viele Jahrhunderte des

    Entsetzen zu beruhigen versuche war mir schon klar.

    „yo daddy’s rich an yo ma is good lookin“

    der Vater war niemals reich, im üblichen Sinne, er hat auf den Baumwollfeldern gearbeitet;

    wenn ich jetzt mal die Version von M.Stipe nehme, dann singt er sogar “ King Cotton, King Cotton is high “

    King Cotton, der  weisse Chef ist high, tja und fand die Mutter des Kindes natürlich schön, wie es sooft war

    ich will das jetzt nicht nochmehr ausbreiten, man könnte noch andere Version von schwarzen Künstlern nehmen

    und dann ist die Sache endgültig klar.

    Es ist ein trauriger song, erfüllt aber das „meaning“ eines Wiegenliedes

     

     

    Wie gesagt, ich freue mich sehr über deinen Beitrag.

    Grüße

    --

    #9857281  | PERMALINK

    Anonym
    Inaktiv

    Registriert seit: 01.01.1970

    Beiträge: 0

    PheebeeIch sehe da überhaupt keine Diskrepanz mit Grund zum Widerspruch zu meiner Aussage/Wahrnehmung, ja, unterstütze das Geschriebe auch soweit. Ich bin doch gar nicht für eine Trennung von Text und Musik in dem Maße eingetreten. Darin ist mein Beitrag evtl. mißverständlich und der Eindruck nicht beabsichtigt gewesen. A.m.S. verbreitet das Lied trotzdem positive Stimmung. Meine Reaktion kommt nur daher, weil früher hier darauf relativ vehement hingeweisen wurde, dass man doch dringlichst auf den Text achten sollte, da er doch so unfassbar traurig wäre. Das ist er eben meiner Ansicht nach nicht vollständig. NAchdenklich, ja, aber traurig ? Nicht rundheraus. Und ich sehe da auch insgesamt das Zusammenspiel aus Text und Musik, das dieses Lied natürlich zum Evergreen macht/gemacht hat.

     

    hallo, falls du mich meinst, ich hab auf überhaupt nichts dringlichst hingewiesen
    ich hab lediglich das lyric gepostet ( zum besseren Verständnis ) und auch die „black version“ des songtextes eingefügt

    nix für ungut, das wars

    --

    #9957039  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,382

    https://www.youtube.com/watch?v=o-0EkzjzMsY

    Ronnie Matthews (p) + Isao Suzuki (b) + Louis Hayes (dr)      1975

     

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #9968197  | PERMALINK

    fred

    Registriert seit: 13.01.2015

    Beiträge: 95

    #10020477  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,003

    habe mich gestern durch THE CROWN wieder daran erinnert, dass ich „bewitched, bothered and bewildered“ sehr mag. bemerkenswerterweise gibt es sehr wenig instrumentalversionen. es scheint keine version von bill evans davon zu geben, auch jarrett hat es bisher links liegen lassen.

    ich kenne versionen von art pepper, brad mehldau und oscar peterson. und die tollste ist wohl die hier:

    fällt jemandem noch was anderes ein? die tube wirft noch sonny red aus – und stan getz mit dem peterson trio, versteckt in einem balladen-medley.

    --

    #10020499  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,045

    Kenny Drew auf seinem „Pal Joey“-Album (kenne es nicht), Herb Geller auf einem der Gellers-Alben … oder Jack Montrose/Bob Gordon:

    Vom Dave Pell Octet (gleiche Westcoast-Ecke aber tanzbar) gibt es das Stück auch noch … und hier, auf dem letzten Album der damaligen Griff/Jaws-Band:

    Mein Einstieg war Sinéad O’Connors Big Band-Album … mag den Song auch gerne, aber wohl keine bestimmte Version, eher den Song an sich.

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #10020517  | PERMALINK

    vorgarten

    Registriert seit: 07.10.2007

    Beiträge: 12,003

    oh toll, danke! und was vokalversionen angeht: schon ella, oder?

    --

    #10020541  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,045

    Ella – auf jeden Fall!

    Aber auch Anita O’Day, bezaubernd vom ansonsten überwiegend irren Album mit OP (das ich aber gerade wegen des andauernden Wettkampfes der beiden reizvoll finde):

    Und hier nochmal, mit grösserer Band (Streicher), arr. Billy May, diesmal mit dem öffnenden Teil, den ich klasse finde:

    Und Youtube zeigt mir dann gleich nebenan noch diese Live-Version von Joanne Brackeen auf, die ich noch nicht kannte, solo vom Jazz Ost-West Festival Nürnberg, 1988:

     

    Ach so, und Sarah Vaughan:

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    #10358987  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,382

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #10359859  | PERMALINK

    dogear

    Registriert seit: 24.02.2008

    Beiträge: 1,338

    zweimal Brian Wilson:

    1. von Ihm produzierte Barebone Version von Sharon Marie (US Capitol Single 1963) nur Stimme, Bass, etwas Schlagzeug
    2. seine eigene Version auf seinem Gershwin Album, full blown Arrangement, anhörenswert

    --

    Der Rock ist ein Gebrauchswert (Karl Marx)
    #10599162  | PERMALINK

    soulpope
    "Ever Since The World Ended, I Don`t Get Out As Much"

    Registriert seit: 02.12.2013

    Beiträge: 56,382

    Oh yeah  :good: ….

    --

      "Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit" (K. Valentin)
    #11588887  | PERMALINK

    gypsy-tail-wind
    Moderator
    Biomasse

    Registriert seit: 25.01.2010

    Beiträge: 67,045

    Die folgenden Posts wurden aus dem Hörfaden ausgelagert:

    Keith Jarrett / Gary Peacock / Jack DeJohnette – Whisper Not: Live In Paris 1999 | Lange nicht gehört, aber ein Album, das ich damals sofort kaufte (als zweitletztes, nach „Inside Out“ verfolgte ich Jarrett erstmal nicht weiter) und das mir sofort sehr gut gefiel. Das Titelstück von Benny Golson ist daran bestimmt nicht unschuldig, es steht am Anfang, eingebettet zwischen die Bebop-Klassiker „Bouncing with Bud“ und „Groovin‘ High“. Danach folgen u.a. „Sandu“ aus dem Repertoire der Roach/Brown-Band, „Wrap Your Troubles in Dreams“ („meine“ Version davon ist die von Mingus mit Eldridge, und die kannte ich damals schon sehr, sehr gut), auf der zweiten CD dann u.a. George Shearing mit „Conceptions“ und nochmal Powell mit dem selten gehörten „Hallucinations“. Und klar, Standards gibt es auch (das ist ja so eine Sache, ob „Groovin‘ High“ oder „Round Midnight“, das auch zu hören ist, Standards sind oder nicht – mit zunehmendem Abstand wird das weniger wichtig, aber streng genommen bin ich entschieden für ein „nein“, weil die Tunes von Jazzern ja schon was anderes sind als die von (den hier vertretenen) Cole Porter, George Gershwin, Sammy Cahn, Victor Young etc. So gesehen ist das Programm in Paris stark „Jazz Originals“ (so nenn ich die) und nicht standards lastig, zumal Strayhorn („Chelsea Bridge“) und Ellington („Prelude to a Kiss“) weitere Grenzfälle sind (Ellington zum Great American Songbook zu zählen missfällt mir überhaupt nicht, aber bei Gillespie, Golson oder Clifford Brown passt das einfach nicht).

    zuletzt geändert von gypsy-tail-wind

    --

    "Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba
    #11588911  | PERMALINK

    redbeansandrice

    Registriert seit: 14.08.2009

    Beiträge: 13,480

    ich wuerd eine Trennlinie zwischen Standards und Great American Songbook ziehen… und schon generell quasi allem, was im Real Book steht, den Standardstatus zuerkennen wollen… (im wiki-Artikel steht uebrigens einiges, was ich nicht wusste…). Allerdings macht es fuer dieses Trio natuerlich Sinn, wenn sie die Grenze etwas frueher ziehen, quasi vor ihrer eigenen Generation

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