Re: Wie hört ihr Jazz?

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gypsy-tail-wind
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Viel zu viele Fragen aufs Mal … generell höre ich auf das Ganze, ist es stimmig, packt es mich – ganz unintellektuell, sofern das halt überhaupt geht (geht natürlich nie ganz, man kann sein „Weltwissen“ oder wie man das halt nennen will, ja nicht einfach ausknipsen, wenn man das mal möchte).

dropped bombWie beurteilt Ihr, ob eine Rhythmusgruppe gut ist?

Gefühlr? Ob’s passt halt … und durchaus auch, was so alles abgeht (oder eben nicht, manchmal ist weniger ja bekanntlich mehr).

dropped bombWie unterscheidet Ihr den Ansatz verschiedener Saxofonisten?

Sound, Phrasierung, Art und Weise, in der ein Solo konstruiert wird, „pet licks“ (achte z.B. darauf mal bei Cannonball Adderley, der hat einen – ziemlich grossen – Sack voller Licks, die immer wieder zum Einsatz kommen, gemischt mit anderem, neuen, spontanem … aber gewisse Phrasen, kleine „hooks“ manchmal nur, sind immer wieder da.

dropped bombWoran hört Ihr, ob es Art Blakey oder Philly Joe Jones ist?

Blakey ist der, bei dem Latin Beat gut klingen, obwohl er sie nicht sauber hinkriegt … Philly Joe ist der beste ;-)

dropped bombAchtet Ihr auf Songstrukturen (AABA …)?

Manchmal, aber eher da, wo sie von der Norm abweichen (ein Beispiel wäre gerade der Opener von Dolphys „Outward Bound“, der eine sehr ungewöhnliche AABA-Form hat – wenn Du meine Stone-FM-Sendung von neulich nachhören willst, auch mit dem Dolphy-Stück – schick mir eine private Nachricht).

dropped bombHabt Ihr irgendein Schema, nachdem Ihr ein Solo beurteilt?
Nicht wirklich … macht es Sinn, hat es einen Faden (der kann natürlich auch über Brüche entstehen, Ironie – wir sind ja längst post-postmodern).

dropped bomb

Woran genau hört man den Unterschied zwischen Bebop und Hardbop?

Genau? Irgendwas mit dem Beat …. hör „Dig“ oder wie die Platte von Miles heisst, mit Rollins und McLean … es gibt ein paar, die ziemlich viel über Jazz wissen und meinen, dort tauche zum ersten Mal dieser relaxtere, anders phrasierte Beat auf, der den Kern vom Hard Bop ausmacht. Dazu kommen dann die eingängigeren Themen, oft auf Blues-Schemata basierend (da gibt es ja viel mehr als das klassische 12-taktige … hör Dir „Watermelon Man“ von Herbie Hancock an für ein 16-taktiges – auch in meiner Sendung übrigens ;-)).

dropped bombWie klingen denn Half-Valve-Techniken auf der Trompete (vielleicht hat jemand ein Stück und kann sagen: bei 2:33, dass sind Half-Valves)?

Kann ich aus dem Stand grad nicht liefern, aber Lee Morgan hören könnte helfen, das zu erkennen!

dropped bombSolche Fragen, ganz konkret und zu allen möglichen Aspekten könnte man hier sammeln, wenn Ihr mögt. Man könnte vielleicht auch Trademarks verschiedener Musikern sammeln, anhand deren Ihr sie erkennt. Da wahrscheinlich jeder eine andere Herangehensweise hat und jeder andere Sachen bemerkt, könnten vielleicht auch die Profis noch von so was profitieren.

Musiker, bei denen ich fast sicher bin, sie innerhalb von ein paar Tönen zu erkennen, sind z.B. Johnny Griffin (das liegt am Sound wie auch an den Highspeed-Phrasen, den irgendwie gequälten Linien), Eddie Harris (ebenfalls Sound, Phrasierung und Linien), Coltrane natürlich (da könnte man mich aber gewiss auch mit etwas atypischem reinlegen), Miles auch fast immer (der Ton, die Phrasen, die Pausen) … den späten Art Pepper … Lee Konitz vielleicht auch (wobei der sicher diverse Sachen gemacht hat, mit denen man mich reinlegen könnte) … andere, die ich oft sofort erkennen dürfte sind Grant Green (wieder: der Sound), Hank Mobley (auch da: der Sound), Horace Silver in der klassischen Zeit (ca. 1954 bis 1968 – bei ihm ist es die Kombination aus Kompositionen, „comping“, dem rollenden Beat) … Blakey (die „press rolls“ oder wie die Dinger heissen, das Feeling) … Roy Haynes (der „snap crackle“, Beat+Sound, einzigartig und einmalig, wie er sein Drumkit stimmt – zu hören auch mit Dolphy auf dem erwähnten Stück) … das nur so spontan, off the top of my head … morgen fielen mir wohl ein paar andere ein. Und dass kaum Pianisten vorkommen ist nicht weiter erstaunlich … Monk, klar, Herbie Nichols (aber das ist keine Kunst, wenn man alles kennt von seinem leider kleinen Werk), Andrew Hill vielleicht (aber darauf würde ich nicht viel Wetten, die klassischen Sachen aus den Sechzigern, ja, aber darüber hinaus?) … Orgel dürfte auch manchmal klar sein, Larry Young, Jimmy Smith, John Patton.

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"Don't play what the public want. You play what you want and let the public pick up on what you doin' -- even if it take them fifteen, twenty years." (Thelonious Monk) | Meine Sendungen auf Radio StoneFM: gypsy goes jazz, #151: Neuheiten aus dem Archiv – 09.04., 22:00 | Slow Drive to South Africa, #8: tba | No Problem Saloon, #30: tba