Re: Blind Fold Test #15 – Friedrich

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vorgarten

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#1 ein unerwartet ernsthafter opener, JAZZ in großbuchstaben und ohne anführungszeichen. hardbop, beinahe würde ich sagen „von der stange“, aber das klänge viel zu pejorativ für dieses wirklich sehr schöne und stimmungsvolle stück. ein motiv aus drei tönen, das reicht schon, die variationen sind nicht komplex, aber ungemein effektiv, man muss das nur einmal hören und könnte es zwei tage später sofort erinnern. durch das aufwärts- und abwärtsspielen des kleinen motivs ist die ganze zeit bewegung drin.
das könnten jetzt eine menge leute sein, die so was auf derart hohem niveau gespielt haben. die hi-hat-rolls des drummers sind interessant, ich würde hier zuerst an blakey denken. beim trompeter überraschen mich die triller, das ist jemand, den ich nicht auf anhieb identifizieren kann. tenor ist ganz toll, mit dieser blues-angerautheit, die sofort kickt – kenne ich auch eher nicht. so wie der pianist sein solo zelebriert, klingt es so, als sei er der leader, zumindest der komponist. mag das sehr, was er da macht – er bemüht sich sehr darum, sich nicht zu wiederholen, setzt auch tolle pausen, sehr schön. wahrscheinlich habe ich alle schon mal gehört, bin aber nie so richtig begeistert gewesen, dass ich sie mir eingeprägt habe.

#2 gar nicht mein fall. da fühl ich sofort den gute-laune-druck. auf daszweite hinhören ist das natürlich interessant, dass hier klavier und bass die stereotype boogiewoogie-grundierung machen, während eine orgel dazwischen gurgelt und kreischt. das klaviersolo zwischen orgel und tenor ist allerding so langweilig, dass die laune so oder so in die keller gehen dürfte (alles ganz furchtbar auf die 1). tenor muss es also rausreißen und macht das dann auch auf knopfdruck. showtime, wie liberace in der sechsten wiederholung der immergleichen extase.

#3 das ist ganz toll. ganz, ganz toll. ein minimalismus, der mindestens auf afrika zurückgeht. hier geht es wirklich gar nicht ums nachfühlen, um den heiligen ausdruck, die interpretation – das ist reine trance. was für ein wahnsinniger moment, als das tamburin dazukommt. etwas gewagte vermutung – ist das screaming jay hawkins? mir ist die stimme vertraut, obwohl ich so was nie höre, aber mit seinem constipation blues wurde ich mal eine ganze klassenfahrt lang behelligt.

#4 komisch, das ist auch total minimalistisch, gefällt mir aber viel weniger. vielleicht, weil hier eine emotionalität dazukommt, die ich im starren gerüst (begleitung auf einem ton!) etwas verloren finde. das tenor behauptet den voodoo, der in #3 aus dem totalen nichts kommt. trotzdem ist das natürlich sehr hübsch, für entsprechende fans.

#5 der beginn ist toll. ein jazzschlagzeuger, der sich langsam in einen bossa-rhythmus eingrooven muss. und dann kommt der jive samba. schwieriges stück, jedenfalls für mich: ein einziger akkord ist dann doch auf dauer eintönig. könnte jetzt von einem mojo-club-sampler sein – the groove is the message. soll ich mir jetzt noch anhören, wie die solisten noch versuchen, sich darin zu bewegen? öde (gitarre), angestrengt (trompete), lässig (tenor). der komponist wäre nat adderley – aber der ist das hier nicht, oder?

#6
noch ne orgel. und noch ne bossa. und vergleichsweise eintönig. gefällt mir gar nicht, verstehe ich alles nicht. sowas ist eine lick- und skalendreschmaschine, damit kann man als jazzimprovisator nichts machen, diese herren hier schon gar nicht. die frage ist, ob sie in aufregenderen settings mehr machen würden.

#7 danke für die abwechslung. lehrstück aus dem funk-seminar. aus der linken gitarre hat steve coleman irgendwann mal m-base entwickelt. ah, der mann mit der wassermelone. der drummer ist natürlich so toll, wie er sein muss. ist das eine quincy-jones-version? soli finde ich hierbei auch ziemlich überflüssig. ganz hübsch, im detail.

#8 so, das wäre das, was ich mir so an die wand hänge. könnte jetzt hier so auf 8000 zeichen schwärmen, aber ich soll ich ja knapp halten. ich habe das stück schneller in erinnerung – müsste ich auf meiner cd mal nachprüfen, oder das ist hier eine andere einspielung.
aber: was für ein wahnsinns-drummer! über den ging es hier mal kurz, für mich war das immer ein weltwunder, was er auf dieser slicken, eigentlich recht kommerziellen platte macht. aber hier stimmt sowieso alles, die glocken, das tamburin, die gitarre, das selbstverliebte und sich selbst verloren gehende e-piano, die ganzen arrangements. und dann einer der vielen wahnwitzigen einstiege dieses tenorsaxophonisten, ein wahrlich wohlstrukturierter ausbruch. und meine lieblingsstelle, mitten im solo – diese rhythmusänderung; aber die ist wahrscheinlich auch festgelegt. überhaupt: sehr sorgfältig zusammengebaute musik, die am ende wieder zu was wahnsinnig lässigem wird. und dann noch die beckenschläge auf die e-piano-akzente… ein traum.
der ursprünglichen verwendungszusammenhang habe ich nie recherchiert – das war eine tv-serie, oder?

#9 gefällt mir deutlich weniger, obwohl vieles vergleichbar ist. beim pianisten weiß ich es nicht genau, aber der tenorsaxophonist ist der gleiche (und sein einstieg wieder toll). der sound ist tighter, mehr mitte70er, die drums viel flacher. einpaar verkopfte spielereien im thema deuten schon die 80er an. wenn das aus der milestonephase des tenoristen ist, finde ich es spätestens heute abend raus. schönes solo, das kann der aber im schlaf (und ein bisschen so klingt es auch). ok, pianist ist auch hancock oder? so oder so: hier wird etwas abgerufen. ist ja nicht schlecht, wenn es zu solch guten ergebnissen führt. aber das hat trotzdem keinen wirklich inspirierten moment. am schönsten ist es eigentlich auch, wenn es nur groovt, wie kurz vor themawiederaufnahme.

#10 sehr schöner fender-sound. überhaupt schön, das langsame aufbauen des grooves. ich kenne das irgendwoher. ist jünger, oder? hat wieder mehr raum als #9, darf etwas mehr atmen. schön, wie das thema immer größere kreise zieht. beim gitarrensolo denke ich doch wieder: das ist schon original 80er. trompeter klingt sehr vertraut, hubbard, oder? dessen elektrische sachen kenne ich noch zuwenig. hier passt alles wirklich gut zusammen, das schwebt in so einer angespannten melancholie, die nicht aufgelöst wird. der saxophonist greift das schön auf. toll gebautes solo, das hier, in so einem mitfedernden groove, auch sinn macht. gitarre macht auch so kleine, schöne sachen. gefällt mir echt gut.

vielen dank für diese herbstliche groovesammlung!

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