Startseite › Foren › Das Radio-Forum › Roots. Mit Wolfgang Doebeling › 30.11.2008 › Re: 30.11.2008
Sebi, zu den knappen Äußerungen des DJs in Beitrag # 62 möchte ich nur anmerken, dass diese aufgrund ihrer Kürze leider nicht zureichen, die damalige – großartige – Berliner Radioszene sachgerecht zu charakterisieren. Auch wird dieser Beitrag leider einer Persönlichkeit wie Barry Graves nicht gerecht. WD weiß das natürlich, fasste sich sicher nur aus Zeitgründen kurz. Ich selber habe im Grunde auch keine Zeit. Deshalb im Folgenden nur im bekannten Telegrammstil: Natürlich hat Barry Graves auch die eine oder andere oberflächlich wirkende Sendung gemacht (könnte dafür auch ganz konkrete Beispiele nennen – „Juke Box Music“, „Jacksons“ usw.) aber – mein Gott!!! – du glaubst gar nicht, wie viel und was für faszinierende Sachen dieser Mann alles gemacht hat im Laufe vieler Jahre für zahlreiche Medien, nicht nur für den SFB. Ein Freund von mir brachte diese – von uns kollektiv empfundene – Faszination damals auf den Punkt, als er sagte, dass es Barry Graves war, der für ihn der „Idealtyp eines wirklich freien Menschen“ gewesen sei. Ja genau, das strahlte Barry Graves auch absolut aus im Radio. Was er ansonsten noch so war, darüber spekulieren die Menschen ja bis heute. Ich würde sagen, er war das sicher nicht in diesem absoluten Sinne, aber er bewegte sich authentischer und konsequenter als die meisten Menschen, die ich bisher kennengelernt habe, auf diese Beschreibung, ein „wirklich freier Mensch zu sein“, zu.
Helmut Lehnert – sehr guter SFB-Moderator, DJ und damals leitender Redakteur, der für sein Programm beim SFB ganz verschiedene Charaktere mit teilweise sehr unterschiedlichen Musikpräferenzen unter einen Hut zu bringen hatte (Kontraste wie Wolfgang Doebeling – Monika Dietl zum Beispiel) sagte rückblickend, dass Barry Graves für ihn immer „ein Vorbild“ gewesen sei. Er zögerte auch keine Sekunde, Barry nach seinem Rausschmiss beim RIAS bei ihm im SFB einzustellen. – Barry Graves gehörte zu denen, die sich niemals „an die Leine legen“ ließen – da stand er unserem DJ hier in nichts nach. Auch äußerte er seine Meinung häufig auch ziemlich unverblümt, was heutzutage selten geworden ist (die Leute „kuschen“ heute doch vielfältig, egal, ob sie was zu sagen haben oder nicht).
Viele wichtige DJs, die das ganze Gegenteil des heute überall verbreiteten Dudelfunks verkörperten, haben damals in Berlin beim SFB, im „SFBeat“ und in eigenen Sendungen, ein beachtliches, ja großartiges Programm gemacht, u. a. Wolfgang Kraesze (genannt „der Hippie-Kraesze“), Christine Heise, Helmut Lehnert, aber auch Leute wie Monika Dietl (sorry DJ, gänzlich andere Musikrichtung, ich weiß, aber es war immer interessant – habe leider nie erfahren können, wie sie eigentlich aussieht, ihre Stimme war aber toll – dieses ganz leichte Lispeln und das bayerisch gerollte „r“ – wie in „Isopropanol“ – übten auf mich eine geradezu betörende erotische Wirkung aus.) – – – Nun ja, und noch viele andere Moderatoren dieses Kalibers, die sich nicht „an die Leine legen ließen“. Nichts, aber auch wirklich absolut nichts mit stupider „Feierabendunterhaltung“ (die Experten, Mikko, der DJ u. a. mögen mich ergänzen, wenn ich wichtige Leute vergessen habe).
Zentral für Barry Graves’ Arbeit war übrigens zunächst überhaupt nicht der SFB, sondern der RIAS, wo es dann auch viele Moderatoren gab, die ich nicht erwähnt habe (Burghard Rausch möchte ich hier vor allem nennen). Mehr darüber gibt es hier:
http://www.studio89.de/barry.htm (und die gesamte Seite http://www.studio89.de , welche allerdings einer Aktualisierung bedarf).
Mehr über die Rolle des RIAS Berlin und auch über seine entscheidende politische Funktion kann man nachlesen in einem höchst interessanten Selbstinterview von Olaf Leitner – einem außerordentlich wichtigen Moderator beim RIAS – auch und gerade für Tausende und Abertausende Hörer in der ehemaligen DDR, die ihn nicht vergessen haben und nie vergessen werden – ein absolut lesenswertes Interview:
http://www.studio89.de/info/info_leitner.htm
--