Re: Ludwig van Beethoven

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gypsy-tail-wind
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Ich erlaube mir mal, hier zusammenzutragen – und möchte anregen, ausführlichere weitere Kommentare auch in diesem Thread zu schreiben, da der Hör-Thread schwer abzusuchen ist (besonders wenn im Text nur Verweise stehen auf eine Bild, oder gar nur ein Bild – ich bin da selbst manchmal auch schuldig).

Die Partitur gibt es hier:
http://imslp.org/wiki/Missa_solemnis,_Op.123_(Beethoven,_Ludwig_van)

pinch… nur Beethovens „Missa Solemnis“ hat er [Toscanini] fürchterlich in den Sand gesetzt. Da stimmte echt gar nichts, weder der Chor, noch das Zusammenspiel der Musiker. Ein unfassbares Durcheinander. Sollte sich diese Aufnahme in deinem Toscanini-Schuhkarton befinden: höre sie mit Schmerzen!

gypsy tail wind… ja, die Missa Solemnis ist da – bisher die einzige Einspielung, die ich davon habe. Danke für die Warnung!

pinchGerne. Für die Rekonvaleszenz lege ich dir dann dringend Otto Klemperers Deutung der „Missa Solemnis“ ans Herz. Mit Söderström, Höffgen, Kmentt und Talvela. Best ever!

gypsy tail windKlemperer scheint da ein fester Wert zu sein … aber Solti hat Popp und klingt auch nicht übel. Und Karajan hat auch eine phantastische Besetzung (Janowitz, Ludwig, Wunderlich, Berry).

Da muss ich wohl etwas genauer schauen, was es alles gibt, bevor ich mich für ein paar Fassungen entscheide!

pinch… und Giulini hat Baker und Sotin. Alles feinste Auslese, aber Klemperer behält am Ende dann doch die Oberhand. Spiritueller als bei ihm klingt Op. 123 nirgends.

gypsy tail windUnd Herreweghe hat Mannion … damn, das wird mal wieder teuer, aber eilt jetzt nicht.

Herreweghe hat die Missa solemnis übrigens 2011 ein zweites Mal eingespielt, das sah ich erst nach dem obigen Austausch. Bestellt habe ich mir aber – neben Klemperer und zweimal Karajan (s.u.) jetzt mal die erste (linkes Cover) aus den Neunzigern:

clasjazZur „Missa Solemnis“ … Ich weiß gar nicht, ob es eine Einspielung gebe, die sich überall erschließe, also diese Missa erschließe. Mir scheint das ein Werk zu sein, dass, nach Schnabels Wort, Musik ist, die besser ist, als man sie spielen könne. Sperriger auch. Verzwickter, mit vielen Erkern. Und darin liegt für mich auch ihre große, unbändige Faszination.

Einspielungen, die ich kenne, sind die von pinch genannte von Klemperer, Giulini, dann noch Böhm, Toscanini (er hat sie ja wie die anderen mehrmals eingespielt bzw. es gibt Mitschnitte, ich habe die mit Björling, bei der ich den seltsamen Eindruck, gelinde gesagt, nur teilen kann) – außerdem die frühe Karajan-Einspielung von 1958:

Mit Elisabeth Schwarzkopf, dem Glasapfel, aber hier für einmal nicht, Christa Ludwig, Nicolai Gedda und Nicola Zaccaria. Und einem wahnsinnigen Chor (Gesellschaft der Wiener Musikfreunde).

Und ich weiß gar nicht, ob ich das Spirituelle in diesem Werk möchte oder recht erkenne (womit ich nichts, aber auch nichts gegen Klemperer sagen möchte). Es ist natürlich da, aber doch reichlich säkular, was die musikalische Präparierung angeht. Vielleicht traue ich dieser Innigkeit auch nicht das Spirituelle zu, um das Pferd so aufzuzäumen. Es bricht ständig aus und dann kommt ja noch Beethovens zweites, aber kleines Violinkonzert im „Benedictus“ des „Sanctus“, Beispiel weltlicher Zärtlichkeit.

In der Bündelung der Stimmen, der Dramatik bei den „Cruzifuxus“-Worten ist das bisher für mich unübertroffen, Karajan zeichnet Pasolini-Töne über diesem unglaublichen Sängerquartett, der Chor vertieft die Szene, senkt sie ein und das „Et resurrexit“ stößt in alle Posaunen, die in und um Jericho herum verfügbar sind.

Was mir völlig fehlt bei diesem Werk, sind Leute wie Herreweghe, Harnoncourt, ich kenne sie nicht, leider, mit dieser Missa, zum Vergleich. Und Corboz, falls er das gemacht hat. Oder hoffentlich noch macht. Außerdem wäre auf meinem Wunschzettelchen noch Mitropoulos. Und, um zurückzukommen, gypsy, Furtwängler. Was sagt der Schuhkarton dazu?

Das „Agnus Dei“ ist unfassbar in dieser Karajan-Einspielung. Gedda ist mir manchmal zwar fremd und ich wünschte mir Wunderlich. Aber dieses „Miserere“, dieser Zusammenklang mit dem Chor ist für mich bisher einzig. Das „Dona nobis pacem“ ist eine schwierige Sache; weil sie ja vorgeschrieben ist, wie kommt man in den Friedenswunsch nach den verzweifelten Bitten? Gut, ist eine andere Geschichte. Beethoven hat hier vielleicht den Kollaps, befriedigt, komponiert.

gypsy tail wind… nein, wie gesagt, die einzige Einspielung der „Missa solemnis“, die ich bisher habe, ist jene in der Toscanini-Box (1953 mit Marshall, Merriman, Conley, Hines, dem Robert Shaw Chorale und dem NBC Symphony Orchestra). Karajan hat ja mit Wunderlich eine Einspielung gemacht, die von den Solisten her ebenso fein aussieht, wie die, die Du gerade hörst: Janowitz, Ludwig und Berry. Kennst Du eine der beiden, pinch? Oder Gardiner, Herreweghe?

pinch@clasjaz: Respekt, mein Lieber! Das ist so ziemlich das Großartigste und Tiefsinnigste, was ich je über die „Missa“ gelesen habe. Chapeau! Und die von dir erwähnte Karajan-Einspielung kenne ich noch nicht mal. Machte micht jetzt natürlich umso neugieriger. Gleich gekauft, das Teil.

@gypsy: Leider nicht. Kenne lediglich noch eine Böhm-Einspielung mit den Berliner Philharmonikern und den Solisten Stader, Greindl, Dermota und Radev. Die ist ziemlich gut. Und weil du es erwähnt hast: Toscaninis „Missa“ mit dem Robert Shaw Chor ist wohl nicht ganz so mies (aber auch nicht berauschend). Ich meinte ebenfalls die von clasjaz angesprochene Aufnahme mit Bjoerling (ca. 1940). Da hatte Toscanini es scheinbar mit einem Laienchor zu tun oder so. Jedenfalls ist das alles katastrophal schlecht.

gypsy tail windDie Björling-Aufname der Missa findet sich in der Box nicht – sie umfässt ja in erster Linie die RCA-Aufnahmen, dazu am Ende zwei CDs mit einer Auswahl der Aufnahmen mit dem BBC Symphony Orchestra (die inzwischen in einer EMI ICON Box umfassend [?] wieder greifbar sind, aber das Repertoire, das dort zu finden ist, ist komplett, teilweise mehrfach, in der grossen Box, ich will also verzichten). Es gibt ja einige Dinge von Toscanini, die nichts mit Victor zu tun haben, etwa die tolle Aufnahme von „Falstaff“, die ich vor ein paar Wochen mal anhörte (sie scheint der offiziell veröffentlichten überlegen zu sein, ich habe noch keinen Vergleich). Die Missa solemnis mit Björling gehört wohl auch zu diesen Aufnahmen.

Von der Besetzung her spricht mit die Karajan-Aufnahme mit Wunderlich mehr an – aber nach dem obigen Post, was hat man da noch für eine Wahl?

pinch@gypsy: Habe gerade nochmal im www geguckt: die von dir angefragte Karajan-Missa mit Wunderlich, Janowitz usw. kenne ich doch. Das heißt, ich kenne die ersten paar Minuten davon. Es ist die hier:

Meine Vinylausgabe (2nd Hand gekauft) hatte seinerzeit den übelsten Höhenschlag, der sich denken lässt und ich konnte das Ding somit geradewegs in den Mülleimer befördern. Seitdem hab ich mich nicht mehr um ein weiteres Exemplar gekümmert. Tja…

gypsy tail windOje!

Wie ich mich auf der Website von prestoclassical umsehe, was ich zur obigen Testament-Ausgabe noch hinzunehmen könnte, erfreue ich mich gerade über die Quelle des Lobes der Toscanini-Aufnahme mit Björling (und Milanov, Castagna, Kipnis – das ist wohl die, um die es ging?): The Christian Science Monitor – meine neue Autorität in Sachen Musik-Kritik :-)

Übrigens sehe ich gerade, dass ich die Gardiner-Einspielung ja habe – bloss habe ich die Details dazu in meiner Liste dämlicherwiese bei der gleichnamigen Mozart-Messe eingetragen … die lege ich nachher doch gleich mal auf!

gypsy tail wind

CD 21 aus der John Eliot Gardiner Collection – ob das jetzt ein „Einstieg“ sei oder nicht, sei mal dahingestellt, es ist jedenfalls das erste Mal, dass ich das Werk höre.

Gramophone Magazine Awards Record of the Year 1991, so sehe ich hier:
http://www.arkivmusic.com/classical/album.jsp?album_id=1140
Da gibt’s eine recht ausführliche Besprechung zu lesen.

Das Gloria endet gerade, die rauhen Hörner und die Stimmen verhallen. Faszinierende, sehr bewegende und äusserst bewegte Musik!

Wahnsinn! Und das Ergebnis war, wie ich schrieb:

gypsy tail wind… eine halbe Stunde in Atemnot und geistiger Aufruhr …

Wobei letztere deutlich länger anhielt und ich bisher entgegen meinem Plan mich nicht wieder an das Werk gewagt habe.

clasjaz

pinch

Gleich gekauft, das Teil.

Du wirst das schätzen, glaube ich. Der Klang ist nicht allzu außerordentlich, aber die interpretatorische Kraft bezwingend. Bei der Gelegenheit: Man sagt Beethoven ja nach, er finde kein Ende; wie er das in der Missa Solemnis kurz und knapp hinsetzt, ist erstaunlich. Aber gut, die Form hat geholfen, denn das ganze Agnus Dei ist ja das Ende. Und es gibt eine sanfte, nicht aufgebauschte Schwarzkopf und Christa Ludwig ist kaum je tiefer, ernster, inbrünstiger gewesen. Soweit ich weiß.

gypsy tail wind[…] erfreue ich mich gerade über die Quelle des Lobes der Toscanini-Aufnahme mit Björling (und Milanov, Castagna, Kipnis – das ist wohl die, um die es ging?)

Um diese Aufnahme ging es. Aber wie? Es gibt Menschen, die diesen musikalischen Schrottplatz loben?

Die Karajan-Aufnahme mit Wunderlich ist derzeit wohl am einfachsten in der Form hier greifbar:

Ich hoffe, ich habe nichts verbockt. Die Diskussion der Symphonien hole ich nicht auch noch her, das können wir ja beizeiten neu diskutieren, ich von meiner Seite habe ja wenig als erste Eindrücke beizutragen.

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