Re: Mikkos 7" Faves

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mikko
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Tommy Roe – Sheila / Save Your Kisses (Philips, 1962)

Auch diese Single hörte ich richtig bewusst zuerst im SF-Beat. Der „Hippie Kraesze“, den Berliner Radiohörer heute noch als Freddie Dreamer aus „Anything Goes“ kennen, stellte den damals bereits fünf Jahre alten Song eines Abends im Frühsommer 1967 vor. D.h. eigentlich kannte ich die Nummer schon länger. Sehr dunkel erinnere ich mich, dass ich auf dem Schulweg in der 2. oder 3. Klasse öfter dieses Lied vor mich hin sang und mit dem Nachbarsmädel rätselte, was denn dieses „Chile“ für eine Rolle in einem ansonsten eher unverständlichen Liedchen spielte. Wie auch immer. Bei den SF-Beat Hörern des Jahres 1967 kam „Sheila“ so gut an, dass sie diesen „Oldie“ gleich mehrmals zum „Hit des Tages“ wählten. Es entstand ein richtiger Hype. Angeblich waren einzelne Hörer bereit, einen dreistelligen DM Betrag für die Single zu zahlen, die natürlich offiziell gar nicht mehr im Handel war. Ich glaube damals kamen die ersten Beat und Rock’n’Roll Fans auf den Gedanken, dass ihre Platten mal teure Sammlerstücke werden könnten. Aber reden wir über den Song. Ich höre „Sheila“ noch immer sehr gerne, und es ist m.E. der beste Song, den Tommy Roe je geschrieben und aufgenommen hat. Natürlich ist der Rhythmus, ist dieser Hiccup-Gesangsstil bei Buddy Holly abgeschaut. Ja im Grunde ist „Sheila“ ein ziemlich dreistes Plagiat von „Peggy Sue“. – Peggy und ihren Schöpfer Buddy sollte ich jedoch erst Jahre später kennen lernen. Deshalb und vielleicht auch trotzdem halte ich „Sheila“ für eine makellose und wundervolle Popnummer. Dieser weiche, leicht näselnde Gesang schmeichelte sich nicht nur bei jungen Damen ein. Und natürlich hat die Melodie mit ihren tollen Wendungen von Strophe zu Refrain und Zwischenteil schon etwas sehr Eigenes. Die B-Seite „Save Your Kisses“ ist eine recht hübsche Teenpop Nummer. Typisch für die frühen Sixties, letztlich aber unspektakulär.


The Boots – Gloria / Walkin’ In The Sand (Telefunken, 1965)

In der Politik (aber nicht nur dort) wird gelegentlich von der “Gnade der späten Geburt” gesprochen. Wenn ich diese Single höre und die Berichte lese, die von den Konzerten ihrer Urheber erzählen, dann wäre ich doch sehr gerne 2-3 Jahre früher zur Welt gekommen. Hätte ich dann doch vielleicht die Chance gehabt, diese beste aller deutschen Beatbands noch auf dem Höhepunkt ihres Schaffens selbst live zu erleben! – So lernte ich die Boots erst irgendwann zu Beginn der 70er Jahre eher zufällig kennen. Ich weiß nicht mal mehr genau wann und wie. Inzwischen kenne ich wohl jeden Ton, den die Berliner Band im Lauf ihrer rund 5-jährigen Karriere (1964-68, wenn man den späteren holländischen Nachfolger außer acht lässt) in Vinyl, Tonband oder Video gebannt hat. Dieses hier war ihre zweite Single. Der Legende nach wunderte man sich bei Teldec in Hamburg, dass die Single der auf Decca erscheinenden Band Them in Berlin besonders reißenden Absatz fand. Bis man dahinter kam, dass die Fans der Boots in Ermangelung eines Tonträgers ihrer Favoriten das Original kauften. Also nahm man The Boots schnellstens unter Vertrag und veröffentlichte deren Version ebenfalls als Single. Was die Boots aus diesem R&B Klassiker machen ist schier unglaublich. Ihre Aufnahme ist deutlich psychedelischer (obwohl es diesen Begriff damals gar nicht gab, fällt mir kein passenderer ein) und aufregender als das Original von Van Morrison & Co. Die Fantaflasche als Bottleneck Ersatz sorgt für herrliche Slide Effekte. Und die Vox Continental Orgel liefert geheimnisvoll schwebende Untertöne. Sieht man mal von Patti Smith ab (deren Version unter völlig anderen Prämissen zustande kam) so ist das hier die beste Aufnahme von Gloria, die ich kenne. Und ich kenne sehr viele! – Auf der Rückseite der Single hören wir die Boots Version des Girlpop Klassikers „Walkin’ In The Sand“ (Original: The Shangri-Las), die erstaunlicherweise bestens funktioniert. Die Stimmung der Trennung, des wehmütigen Erinnerns wird in Arrangement und Vortrag der Band sehr gut getroffen. The Boots werden uns hier bestimmt noch mal begegnen. Wer schon jetzt mehr wissen will, schaut bei www.theboots.de nach.


The Yardbirds – Evil Hearted You / Still I’m Sad (Epic, 1965)

Noch eine Band, derer ich erst richtig gewahr wurde, als sie schon gar nicht mehr recht existierte. Still I’m Sad hatte ich irgendwann 1967 oder 1968 aus dem Radio aufgenommen. Damals schnitt man ja noch viel mit, weil man sich die vielen tollen Singles zum einen gar nicht leisten konnte und zum anderen oft auch nicht wusste, wo man sie kaufen sollte. Besonders in solchen Fällen, wo die Platten nicht mehr aktuell waren. Für einen Popsong ziemlich ungewöhnlich waren Arrangement und Melodieführung dieser schwermütigen, irgendwie an Mönchsgesänge erinnernden Nummer. Einen Hang zu Melancholie und Wehmut hatte und habe ich bei Popmusik immer schon gehabt. Das hier ist jedoch ganz besonders umwerfend. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, welches die erfolgreichere Seite der Single war. In England stieg sie bis auf Platz 3 der Charts. Die A-Seite Evil Hearted You ist jedenfalls bestimmt nicht schlechter. Während Still I’m Sad von Paul Samwell-Smith und Jim McCarty, also zwei Yardbirds, geschrieben wurde, stammt Evil Hearted You wieder aus der Feder von Graham Gouldman, der schon For Your Love und Heartful Of Soul (die ersten Hits der Band) schrieb und damals auch für andere (Hollies, Herman’s Hermits) erfolgreich Songs lieferte. Irgendwie passen die beiden Seiten der Single gut zusammen. Denn auch Evil Hearted You ist weit von den munteren, fröhlichen Popsongs jener Tage entfernt. Jeff Becks Gitarrenriff korrespondiert auf beeindruckende Weise mit Keith Relfs schneidendem Gesang. Und immer noch laufen mir Schauer über den Rücken, wenn ich die Platte höre. Beide Seiten. Gekauft habe ich die Single übrigens erst sehr viel später irgendwann in den 80er Jahren.

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