Re: Bruce Springsteen

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lcmab

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Ressort Thüringen
Erschienen am 19.07.2008 00:00
Viele Thüringer dabei
Das größte Rock-Konzert in der DDR
Bruce Springsteen am 19. Juli 1988 in Ost-Berlin / Ausnahmezustand in Weißensee
Von Thomas Purschke

Rund 200 000 Fans reisten am 19. Juli 1988 aus allen Teilen der DDR an, um Bruce Springsteen in Ost-Berlin zu sehen.
Bild: dpa

Das Gelände um die Radrennbahn in Berlin-Weißensee befand sich am 19. Juli 1988 in einem Ausnahmezustand. Massen von Jugendlichen und Junggebliebenen aus allen Teilen der DDR, darunter auch viele Thüringer, strömten auf das riesige Wiesenareal. Die Nachricht, dass der Rockstar Bruce Springsteen aus den USA beim von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) organisierten
„5. Berliner Rocksommer“ auftreten werde, sorgte bei Musikfans im Sommer 1988 in der dahinsiechenden Republik für Freude und Abwechslung im ansonsten meist tristen Alltag. Wollten die DDR-Mächtigen damit etwa Glasnost und Perestroika zelebrieren oder steckte was anderes dahinter ?

Das SED-Zentralkomitee und die Apparatschiks der sozialistischen Jugendorganisation FDJ zeigten sich schon lange verärgert über die zahlreichen Musikkonzerte auf der Wiese vor dem West-Berliner Reichstagsgelände. Denn viele DDR-Jugendliche versuchten dann immer in unmittelbarer Nähe zum Brandenburger Tor/Berliner Mauer und dem direkt dahinterliegenden „Todesstreifen“, wenigstens akustisch – wie im Juni 1988 von Pink Floyd sowie Michael Jackson – etwas mitzubekommen. Rufe „die Mauer muss weg“ und Rangeleien mit Stasi-Bütteln in Zivil und Vopos, die die Jugendlichen teilweise mit Schlagstöcken brutal vertrieben, waren dann keine Seltenheit, was zudem zahlreiche Festnahmen durch die „Sicherheitsorgane“ nach sich zog.

Diese Unruhen passten der DDR-Führung samt Grenztruppen und der Stasi überhaupt nicht. Deshalb organisierte die FDJ 1987 in Ost-Berlin eigene Musik-Open-Air-Konzerte mit britischen und amerikanischen Topstars. Die kleinkarierten SED-Kulturfunktionäre hatten zähneknirschend einsehen müssen, dass sie die „dekadente Musik der Imperialisten“ und die Einflüsse westlicher Kulturen der Ostjugend nicht weiter vorenthalten können. Die Ungarn etwa hatten dies schon früher begriffen und Spitzenbands wie etwa „Queen“ nach Budapest geholt. Obwohl der damals greise Staats- und Parteichef Erich Honecker, wie Udo Lindenberg sang, alles andere als „tief in seinem Herzen doch ein Rocker“ war, durften 1987 im Rahmen der 750-Jahr-Feier Berlins im Treptower Park, Bob Dylan, Tom Petty and the Heartbreakers und Roger Mc Guinn aufspielen. Im Jahr darauf kam der Kanadier Bryan Adams. Doch der Auftritt von Springsteen, Wochen später in Berlin-Weißensee, sprengte alles bislang Dagewesene. Eine Karte kostete 19,95 DDR-Mark plus fünf Pfennig Kulturabgabe. Laut „Mitteldeutscher Zeitung“ soll die FDJ nach dem triumphalen Auftritt Springsteens ein Defizit von zirka 1,7 Millionen DDR-Mark verbucht haben.

Obwohl die FDJ einen Großteil der Karten vorab unter linientreuen SED-Junggenossen absetzte, drängten auch viele echte Springsteen-Fans auf das Gelände. Auch diejenigen, die keine Karte mehr erstehen konnten, ließen sich von den Einlasskräften der FDJ-Blauhemdtruppen und Vopos nicht wirklich beeindrucken und aufhalten. Etliche Fans sprangen über die Zäune oder drückten zu Konzertbeginn die Ordner auf die Seite. Vielen dürfte noch das berühmte Bild des bekannten Ostberliner Fotografen Harald Hauswald bekannt sein, der zwei FDJ-Ordner beim Springsteen-Konzert ablichtete, die mit teilnahmsloser Visage im Graben vor der Bühne saßen.

Während die SED-Zeitungen von offiziell 160 000 Zuschauern berichteten, waren es in Wirklichkeit um die 200 000. Ein riesiges „Tunnel-of-Love“-Plakat, der Titel von Springsteens 1987er Album prangte über der Bühne. Die Tournee umfasste mehr als 100 Konzerte weltweit, aber das in Ost-Berlin war auch für ihn selbst, wie er später sagte, das bis dato größte.

Der „Boss“ und seine legendäre E-Street-Band spielten in einer vierstündigen Mammutshow bei herrlichem Wetter ihre Welthits von „Born to run“ über „Glory days“ und „Hungry
heart“ bis zum alles andere als patriotisch gemeinten „Born in the USA“. Die Atmosphäre war einzigartig, Zigtausend sangen begeistert mit. Man spürte eine riesige Gruppendynamik und das Verlangen nach Selbst-Bestimmung und -Verwirklichung. Springsteens Heimat, die Vereinigten Staaten von Amerika, waren damals für die meisten DDR-Bürger so unerreichbar wie der Mond. Das bedrückende Gefühl des Eingesperrtseins wurde überlagert von den kraftvollen Songs Springsteens, gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt etwas zu tun und sich nicht alles gefallen zu lassen. Für tosenden Jubel sorgte Springsteen mit der Ansage: „Ich bin nicht für oder gegen eine Regierung hier, sondern um Rock’n‘ Roll zu spielen. Ich hoffe, dass eines Tages alle Barrieren fallen!“ Er meinte die Mauer damit.

Bei „Dancing in the dark“ holte er sich zum gemeinsamen Tanz eine hübsche 17-jährige Berlinerin aus dem Publikum auf die Bühne. Den Rollstuhlfahrern auf der Behindertentribüne schenkte er T-Shirts. Es schien, als reiche das Meer an Menschen bis zum Horizont, selbst gemalte Plakate und US-Fahnen wurden geschwenkt, das hatte es zuvor in diesen Dimensionen im Arbeiter-und Bauernstaat noch nicht gegeben. Die Stasi kann nur noch zuschauen.

Das Konzert wurde zeitversetzt und selbstverständlich zensiert im DDR-Fernsehen und beim Jugendsender „DT 64“ übertragen. Das verdeutlichte einmal mehr die Verlogenheit des Staates samt seiner Medien. Die Sehnsucht nach Freiheit und der großen weiten Welt wurde durch den Auftritt des US-Rockstars nur verstärkt, bewirkte also genau das Gegenteil, was die SED-Bonzen eigentlich vorhatten: Nämlich den Auftritt Springsteens als Beruhigungspille für eine zunehmend frustrierte Jugend einzusetzen und als Beleg für Frieden, Weltoffenheit und Toleranz sowie für den Kampf gegen den „parasitären Imperialismus“ auszulegen. Nur ein Jahr später, im Sommer 1989 hatte ein Großteil der Menschen in der DDR die Nase von all den Bevormundungen und Restriktionen endgültig voll. Sie besetzten die Botschaften in Budapest, Prag und Warschau, flüchteten über Ungarn nach Österreich, demonstrierten in Leipzig, Berlin und andernorts, bis alle „Barrieren“ hinweggefegt waren und die Mauer fiel.

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