Re: Die 500 Besten Songs Aller Zeiten

#2484379  | PERMALINK

Anonym
Inaktiv

Registriert seit: 01.01.1970

Beiträge: 0

Originally posted by Hannoversche Allgemeine Zeitung
Der Song aller Songs

Kein Witz: Der „Rolling Stone“ kürt „Like a rolling Stone“

Was muss passieren, damit Menschen sich trauen, das beste Lied aller Zeiten festzulegen und das auch noch öffentlich zu verkünden? Fest steht: Sie haben es getan. 172 Musikfachleute haben den besten Song aller Zeiten gewählt, und weil dies auf Bitte des Altrockerkampfblatts „Rolling Stone“ geschah, klingt das Ergebnis wie der billigste aller Werbegags: „Like a rolling Stone“ heißt das Lied und ist 39 Jahre alt, Bob Dylan heißt der Sänger und ist 63 Jahre alt. Die Wahl ist kein Witz, und auch nicht wirklich überraschend: Dylan wird vom „Rolling Stone“ wie ein Heiliger verehrt.
Dylan taucht in der 500-Song-Rangliste der Popexperten gleich 12mal auf, was immerhin 2,4 Prozent sind. Aber er ist nicht einmal Spitze: Die Beatles, unter den Top-Ten mit „Hey Jude“ auf Platz neun (und Lennons „Imagine“ auf Platz drei) vertreten, haben mit 22 Titeln ungefähr ein Zehntel ihres Gesamtschaffens untergebracht, die Rolling Stones sind 13mal dabei, unter anderem mit „Satis-faction“ auf Platz zwei. Macht für Dylan, die Beatles und die Stones insgesamt 47 Lieder und einen Anteil von knapp zehn Prozent.
Was, muss man fragen, haben Tausende und Abertausende von Bands falsch gemacht? Wo waren sie, als es galt, Geschichte zu schreiben? Wie viele schlechte Musik muss es geben, wenn so wenige gut war? Ist es falsch, singen zu können? Geht der Hip-Hop am Ende doch auf Dylan zurück? Die Liste wirft Fragen auf. Nicht erst seit Nick Hornby. Aber in dessen Poproman „High fidelity“ sind alle Listen lustig. Diese Liste hier scheint ernst gemeint zu sein.
Dass die Beatles, die Stones und Dylan nicht gleich alle 500 besten Songs aller Zeiten belegen, liegt vor allem daran, dass es noch ein paar andere alte Helden gibt. Marvin Gaye zum Beispiel (tot/„What’s going on?“/Platz vier), Aretha Franklin (62/„Respect“/Platz fünf), Chuck Berry (78/„Johnny B. Goode“/Platz sieben) oder Ray Charles (tot/„What’d I say“ /Platz zehn). Aus der Reihe fällt Kurt Cobain. Der wäre noch nicht alt, ist aber schon tot und steht mit seiner Band Nirvana und dem Titel „Smells like Teen Spirit“ auf Platz neun. Und er steht ziemlich allein da. Nicht weniger als 344 von 500 Titeln stammen aus den sechziger und siebziger Jahren. Aus den Achtzigern stammen noch 55, die restlichen 14 Jahre sind das, was bei politischen Wahlen immer so lieblos als „Andere“ ins Tortendiagramm gequetscht wird. Diese 14 Jahre sind eine Grauzone, unter Generalverdacht, den wahren Rock ’n’ Roll zu verraten. Diese Zeit hat Musikhörer hervorgebracht, die Dylan gar nicht kennen oder auf ihn pfeifen und ihn in einen Topf schmeißen mit Bill Haley, Elvis, Neil Young und anderen, die auf der Liste stehen, weil’s für manche Jüngere eben alles Oldies sind.
Die die Liste erstellt haben, sind nicht nur Musikkritiker und Plattenfirmenmenschen wie der Gründer des „Motown“-Labels, Berry Gordy, sondern auch Musiker, die sich praktischerweise gleich selbst wählen konnten. Art Garfunkel etwa oder Elvis Costello. Joni Mitchell oder Ozzy Osbourne. Sie halten schützend die Hand über die gute alte Zeit, sie erinnern mit ihrer Liste daran, dass Popgeschichte auch Zeitgeschichte ist. Und sie wollen einen Moment lang vergessen machen, dass Popkultur auch Jugendkultur ist und sich nicht allzu lange umschauen darf, um als solche weiter voranzukommen. Aber auch solche Momente gehen vorbei, und frischen Pop gibt’s immer noch.
Ach, und es ist ja auch nur ’ne Liste. Aber jetzt mal ehrlich: Wer kennt Platz zehn: „What’d I say“ von Ray Charles? Aufstehen, vorsummen!

Uwe Janssen

--