Re: No-Name-Sängerin füllt Olympiahalle

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dougsahm
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Für Interessierte (ich selber zähle mich nur von der Seitenlinie beobachtend dazu): SZ vom 26.04.

Barbara Clear

Der Marsch durch die Wüste

Sie hat getan, was noch nie ein Küstler ohne Konzertagentur, Plattenfirma, Millionenpublikum getan hat: Sich einfach die Olympiahalle gemietet. Selber. Und es hat geklappt.
Von Jochen Temsch

Eigentlich ist der Weg auf die Bühne der Olympiahalle sehr kurz. Es geht rosaroten Pfeilen nach, die auf den Betonboden gemalt sind. Zwölf Schritte, die von der Garderobe nach links in eine Art Tiefgarage führen.

Dann 30 Schritte bis zu einem blauen Tor – dem Eingang zur Arena. Weitere 19 Schritte zu einer Treppe aus Metall: sieben Stufen, mit blauen Leuchtstreifen und rotem Klebeband markiert, damit man am Ende nicht noch stolpert. Der linke Lauf des Geländers wackelt beim Hochsteigen ein bisschen.

Dann steht man da, wo schon die Rolling Stones standen, Led Zeppelin, Peter Gabriel – einfach alle. Aber für niemanden war der Weg auf diese Bühne so lang wie für Barbara Clear. Los ging sie vor zweieinhalb Jahren.

Im Sommer 2001 mietete die bis vor kurzem völlig unbekannte Folksängerin aus dem kleinen Ort Hutthurm bei Passau den 14 000 Menschen fassenden Auftrittsort der Weltstars – auf eigene Faust, was es in der Geschichte der Olympiahalle noch nicht gab.

Clear, die bürgerlich Klier heißt, handelte alleine, ohne Plattenkonzern im Kreuz, ohne Hit im Radio, einfach als eine Frau, die Gitarre spielen und singen kann – so wie zuvor nur Joan Baez im Jahr 1977, die allerdings schon berühmt war. Clear wollte beweisen, dass es möglich ist, als unabhängige Künstlerin einen individuellen Weg zu gehen und die Mechanismen des Musikbusiness“ durch ein riskantes Spiel ad absurdum zu führen.

Ihr Repertoire besteht aus eigenen Kompositionen und eher konventionellen, technisch aber brillant interpretierten Coverversionen von Siebzigerjahre-Songs, zum Beispiel von Deep Purple, den Eagles oder Janis Joplin. Zyniker spotteten, Freunde schüttelten den Kopf, Clear startete eine „Ticket-to-Munich“-Tour, um für das Konzert zu werben, in das sie rund 60.000 Euro investierte.

Kurz bevor die Sängerin am vergangenen Samstag die letzten Schritte zur Bühne macht und den rosaroten Pfeilen folgt, sitzt sie in ihrer Garderobe und zupft sich warm. Reporter wollen wissen, wie nervös sie sei. ¸¸Ich bin total ruhig“, sagt sie. Und: „Ich kann es nicht erwarten.“ Ihre Vorbereitung war lang genug. 250 Auftritte absolvierte sie in zweieinhalb Jahren, manchmal vor 500 Zuschauern, meistens vor 50. Sie tourte von Tittling nach Berlin nach Weilheim, nach Österreich und in die Schweiz, in verrauchte Kneipen und städtische Mehrzweckhallen.

Dabei machte sie alles selbst. Sie mietete die Bühnen, klebte Plakate, steuerte ihren Kleinbus, schleppte die Lautsprecher, verkaufte ihre CDs. Am Ende der Auftritte drückte sie jedem, der wollte, eine Eintrittskarte für München in die Hand. Pro Ticket nahm sie nur zehn Euro, und sie unterschrieb auf allen wie auf Wechseln. Ein mutiges Unterfangen: Vor vier Wochen zum Beispiel wollten ihr gerade mal 20 Leute zuhören, als sie in Erding bei München auftrat.

Doch dann wurden, gerade noch rechtzeitig, die Medien auf Barbara Clears Geschichte aufmerksam. Eine Geschichte, die selbst abgebrühte Journalisten rührt. Bei einer Live-Schaltung in ein Fernseh-Morgenmagazin hatte die Reporterin Tränen in den Augen. Und noch in der Garderobe, eine Viertelstunde vor dem Auftritt, recken alle ihre Mikrofone, um etwas vom „Traum“, „Gefühl“ und „Bauch“ der Künstlerin zu erfahren.

Dann geht sie weiter, mit einem Lächeln, die Gitarre in der Hand. Zwölf Schritte nach links, 30 zum blauen Tor. In diesem Moment hört sie das Publikum jubeln. Jetzt weiß sie: Es hat geklappt, besser als erhofft. Fast 8000 Zuhörer sind gekommen. Manche haben, wie die Sängerin, zweieinhalb Jahre lang auf diesen Moment gewartet, manche fuhren Hunderte von Kilometer bis hierher. Für Clear ist es „wie die erste Dusche nach sechs Wochen Marsch durch die Wüste“, wie sie hinterher sagt.

Nervosität zeigt sie keine. Beim Eröffnungs-Song, dem Traditional „May Morning Dew“, ist ihre Stimme laut und kraftvoll, und sie zittert nie. Das bleibt bis zum Schluss so, drei Stunden lang – obwohl die Fans schreien, trampeln, La Ola machen und ihr, die am Vortag 40 Jahre alt wurde, ein „Happy Birthday“ singen.

Die Stimme bleibt sogar stark, als Clear weinende Freundinnen im Publikum erkennt. Am Schluss stehen die Leute auf und applaudieren. Barbara Clear geht die sieben Stufen hinunter, den Weg zurück, den sie gekommen ist. Als eine andere.

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