Antwort auf: Das Kinojahr 2021 (Achtung, kann Spuren von Spoilern enthalten)

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motoerwolf

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Don’t Look Up (Don’t Look Up, Adam McKay, 2021)

McKays schrille, wenig subtile Satire wurde quasi von der Wirklichkeit überrollt. Als das Script entstand, war die Geschichte als Kommentar zum Leugnen des Klimawandels gedacht und dieses Leugnen für damalige Verhältnisse reichlich überspitzt dargestellt. Doch dann kam Corona. Und vieles, was an Don’t Look Up grell und überzeichnet wirken sollte, war auf einmal exakt so im wirklichen Leben zu beobachten. Diese Nähe zur Wirklichkeit lässt ab und zu sogar einen Gag scheitern, denn was vor der Pandemie vielleicht lustig war, hat man heute schon so oft mit tödlichen Konsequenzen im real life erlebt, dass einem das Lachen vergehen will. An anderen Stellen verschenkt der Film ein wenig Potential. Denn auch wenn zum Beispiel die Präsidentin (Meryl Streep) zwar einige Wesenszüge mit Trump teilt, so ist mir ihre Darstellung nicht böse genug. Politiker vom Schlage Trumps sind eben oft nicht nur dumm, opportunistisch, selbstverliebt und voller Verachtung für andere, sondern eben echte Soziopathen voller Hass und Bosheit. Auch wenn mir dieser Aspekt zu kurz kommt, macht Streep einen prima Job. Man hasst ihre Figur vom ersten Moment an. Ihren Sohn (Jonah Hill) ebenfalls, allerdings mag ich Hill nicht besonders, daher braucht er nicht viel zu tun, um bei negative Gefühle auszulösen. Die stärkste Leistung im Film zeigt für mich Jennifer Lawrence, die den Kometen entdeckt, an der Ignoranz der Menschheit fast völlig verzweifelt und später einfach aufgibt, dicht gefolgt von Leonardo DiCaprio, der einen nüchternen Wissenschaftler spielt, der sich vom Ruhm eine Zeit lang verführen lässt. Trotz kleinerer Mängel für mich ein gelungener Film, ein Kommentar zur Lage und ein Kandidat für einen künftigen Klassikerstatus, der immer dann zitiert wird, wenn unsere absurde Gegenwart rückblickend betrachtet wird. 8/10 Punkten.

West Side Story (West Side Story, Steven Spielberg, 2021)

Toll ist hier noch untertrieben. Wir sehen einen fantastischen Cast. Rachel Zegler ist eine Maria, die Herzen zum schmelzen bringt, Ariana DeBose als Anita ist großartig in Freude und Schmerz, David Alvarez als Bernardo und Mike Faist als Riff verleihen den Figuren eine Tiefe, die sie von der Funktion in der Story her gar nicht bräuchten. Rita Moreno, die frühere Anita, jetzt als Valentina (die Frau des Doc, die diesen ersetzt) wiederzusehen ist wunderbar. Lediglich Ansel Elgort als Tony konnte mich stimmlich nicht zu einhundert Prozent überzeugen, aber das ist Jammern auf hohem Niveau. Dafür ist nämlich der Gesang so harmonisch in die Handlung integriert, das Spiel der Darsteller auch beim Singen so überzeugend und in der Rolle wie ich es selten gesehen habe in einem Musical. Daher gibt es so viele wundervolle Sequenzen, dass ich gar nicht in der Lage bin, ein paar besonders herausragende zu nennen, ohne mir unfair vorzukommen. Vielleicht darf ich als primi inter pares die Szenen zu America, Tonight, Tonight Quintet, Gee, Officer Krupke, I feel pretty und Cool nennen.
Die im Vergleich zum Original regelrecht entfesselte Kamera verleiht Spielbergs Version eine Dynamik, die dem Original fehlt (was freilich bisher mangels Vergleichsmöglichkeit nicht auffiel). Allein die Sequenz zum Song America unterstreicht meinen Punkt ausreichend, steht aber nicht alleine da. Ebenso großartig sind Farb- und Lichtgestaltung, die jederzeit die Geschichte unterstützen. Dass der Ton bei einem Musical gut sein sollte, versteht sich von selbst, aber wie gut er ist, treibt einem Tränen der Freude in die Augen. Das gilt für die Mischung, das gilt für die Soundeffekte (der tödliche Schuss am Ende!) und natürlich auch für den Gesang und das gesprochene Wort. Die Mischung aus Spanisch und Deutsch (in meinem Fall, denn die OV läuft hier nicht) ist so gut gelungen, dass die nicht vorhandenen Untertitel nicht fehlen, obwohl keineswegs spanische Sätze einfach auf Deutsch wiederholt werden. Richtig schlimm sind allerdings die Untertitel zu den Songs, die nicht nur nicht wörtlich übersetzt sind, sondern den Sinn der Texte teilweise entstellen. Besonders schlimm ist das bei America, dem Song wird im Untertitel jede Ironie, jeder kritische Aspekt genommen. Das schmerzt umso mehr, als das Spielberg im Vergleich zur 1961er Version ja deutlich politischer und sozialkritischer ist.
Ich könnte jetzt noch lange weiter schwärmen, doch statt dessen gebe ich einfach 10/10 Punkten.

In den nächsten Tagen folgen noch Spider-Man, Matrix und Matrix Resurrections sowie House of Gucci, dann ist hier auch schon wieder Feierabend.

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And all the pigeons adore me and peck at my feet Oh the fame, the fame, the fame