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da ich ein bisschen weitergehört habe, hier ein kleiner überblick über sanders‘ nächste phase von ende der 1970er bis ein stück weit in die 1980er, die vom theresa label nicht nur sehr gut dokumentiert, sondern eigentlich überhaupt ermöglicht wurde. das kleine label von allen pittman und kazuko ishida existierte von 1976 bis 1989 und nahm hauptsächlich afroamerikanischen mainstream jazz in der bay area auf, angefangen von den lokalhelden (bishop) norman williams und ed kelly, setzte dann aber vor allem auf sanders und john hicks. außerdem entstanden alben von nat adderley, george coleman, bobby hutcherson und rufus reid. all das ist durch cd-ausgaben von evidence bis heute ziemlich gut erhältlich.
auf sanders‘ erstem theresa-album, aufgenommen im dezember 1978, firmiert er inkognito als „friend“ und wird fotografisch neben pianist ed kelly von einem tenorsax, holzschuhen und einer kappe vertreten. er war damals noch bei arista unter vertrag und durfte nicht mit seinem namen auftreten, die spätere evidence-ausgabe erst nannte das album ED KELLY & PHAROAH SANDERS.
das album ist hübsch und stilistisch ziemlich durcheinander. kellys beiträge sind üppige funk/pop-arrangements, mit streichern, e-gitarre und bläsersatz, dann gibt es zwei etwas kitschige, aber reduzierte balladen, eine hübsche barrelhouse-solo-version von „sweet georgia brown“. sanders steuert zwei originale bei, die symptomatisch für die nächsten aufnahmen stehen: die ersteinspielungen von „you’ve got to have freedom“ und „newborn“ haben einfache, subtil entwickelte, clevere themen und ein gerüst mit nicht allzu viel changes, die in kompakten bands gut funktionieren (live ist er ja immer noch im quartett unterwegs), aber auch durch chor, streicher etc. aufgefüllt werden können.
ed kelly kommt vom gospel, spielt üppig, aber durchaus emotional. auf der cd befindet sich noch material einer session von 1992, u.a. mit drei solo-stücken, die sehr hübsch sind. sanders tritt etwas gebremst auf, funktional sowohl im poppigen, wie auch im balladen-kontext, von seinen eigenen sachen gibt es später wesentlich heißere aufnahmen.
pharoah sanders‘ erstes leader-album auf theresa ist tatsächlich ein chef d’oeuvre, oder, wie idris muhammad sagt: „it put him back on the map“. 73 minuten auf zwei lps, ein komplettes portfolio aus spirituellen mantras (wahlweise von koto, harmonium oder piano begleitet), heißem post-bop, einem balladenstandard, einer verbeugung vor coltrane und vielen neuen kompositionen. grundstock ist ein fantastisches quartet mit john hicks (p), ray drummond (b) und idris muhammad (dm), das (mit ausnahme von drummond) danach auch live erfolgreich unterwegs sein wird. joe bonner ist aber auch dabei, sanders‘ frau bedria spielt harmonium und eddie henderson hat zwei auftritte als flügelhornist. ein gesangsensemble um den jungen bobby mcferrin ist zweimal zu hören, und muhammad sorgt als mixer zwischen zwei joints für ein paar spacige soundvariationen im ansonsten sehr knackig auf sanders‘ ton konzentierten klangbild.
danach ist das rumpfquartett in europa unterwegs (mit curtis lundy am bass), es gibt einen auftritt mit ed thipgen, mats vinding und horace parlan in kopenhagen, den ich gerne mal hören würde, außerdem tritt sanders ein paar mal als gast des george-adams-don-pullen-quartetts auf.
im september 1980 hilft sanders seinem bandkollegen muhammad, der keine discoalben mehr bei fantasy einspielen mag, bei dessen transformation vom funk- zum jazzdrummer. ein super album mit fetten, rollenden grooves und zwei schwergewichtigen tenorsaxofonisten, die nur auf einem blues gemeinsam zu hören sind, ansonsten mit muhammad und drummond im trio. perfekt destilliertes schwarzes post-bop-playing, mit schulbuchmäßig gebauten coleman-soli und eher kratzigen, angepieksten sanders-blöcken, der aber überraschenderweise auch die einzige ballade veredelt, eckstines „i want to talk about you“. ich greife immer wieder mal auf KABSHA zurück, weil es in gewisser hinsicht für die 1980er auf den punkt bringt, warum jazz niemals irrelevant werden kann – und das mit reduziertesten mitteln. dafür reicht es eigentlich, nur auf muhammads beckenarbeit zu hören.
REJOICE ist die nächste großtat von sanders, ebenso fett produziert wie JOURNEY TO THE ONE, auch mit ziemlich ähnlichem konzept – das gesamte spektrum der pharaonischen ausdruckskraft auf vier lp-seiten, wobei der gleichnamige opener mit elvin jones‘ groove und den schwebenden sounds von bobby hutcherson wohl zu den veritablen hits von sanders aus dieser phase zählt. aber nicht nur jones und hutcherson tauchen hier auf, auch art davis, billy higgins, steve turre, john hicks und joe bonner, babatunde und big black, sowie ein gesangsensemble und ein bisschen afro-fusion. es gibt zwei coltrane-stücke („central park west“ und „moment’s notice“) und benny carters „when lights are low“, trotzdem ist das (auf hohem niveau) alles nicht so zwingend wie JOURNEY TO THE ONE. beachtlich aber dennoch, wie viel mühe sich das kleine label mit seinem star macht.
im gleichen jahr (1981) fogt das erste theresa-livealbum von sanders, der mit seinem quartett aus hicks, booker und muhammad in den usa unterwegs ist, bevor er mit anderen besetzungen durch europa tourt. dieses album ist hier schon vielfach aufgetaucht, es ist wohl der perfekteste ausdruck für die live-extase, die die sanders-bands mit ihrem kompakten programm in den 1980ern hinbekamen. die version von „you’ve got to have freedom“ hier haut einen buchstäblich aus dem sessel und setzt einen dichten höhepunkt nach dem nächsten (vor allem john hicks ist in top-form, wahrscheinlich hat es ein so heißes post-tyner-mainstream-klavier bis kenny kirkland nicht mehr gegeben). die evidence-cd hat noch das über 20-minütige „doctor pitt“ zu bieten, was sich ebenfalls sehr lohnt, dazwischen darf sich das heftig angeflirtete publikum u.a. mit „easy to remember“ etwas ausruhen.
ebenfalls aus 1981 ist dieses album, an dem william henderson john hicks ersetzt – allerdings mit einem kurzweil 250, der in der lage zu sein vorgab, diverse instrumentensounds zu imitieren (neben klavier und akustischer gitarre sowas wie einen chor und streicher). der war damals noch in einer probephase und dementsprechend cheap klingt das leider auch. schön ist der auftritt von leon thomas auf zwei stücken, aber auch hier stört die merkwürdige begleitung schon sehr. mit „body and soul“ und „too young to go steady“ versucht sich sanders an zwei weiteren standards und am spiel über changes. trotzdem bleibt SHUKURU, auch wenn das titelstück eine ziemlich ungreifbare melancholie ausbreitet, das einzige album, das man in dieser phase wohl nicht unbedingt braucht.
danach gibt es einen gastauftritt auf dem album VISITING THIS PLANET von tisziji munoz (nur auf dem coltrane-stück „to be“), das ich leider nicht kenne. 1982 kommt dann das vorletzte sanders-album auf theresa heraus (das letzte sehr viel später, 1987, dazu später):
der live-auftritt im keystone korner in sanders‘ aktueller hometown san francisco eröffnet mit einer ausgesprochen feurigen version von coltranes „olé“, ganze 22 minuten lang. wieder ist muhammad der drummer, aber am bass ist john heard und am klavier der glänzend aufgelegt william henderson. das publikum klatscht mit, der vibe stimmt, auf einer neuen version vom creator mit dem masterplan, taucht ein gespenstischer chor auf (mit andy bey!), der dazu „haert is a melody in time“ singt, was ziemlich super ist. überraschend auch die schön swingende version von damerons „on a misty night“. die cd-ausgabe bietet noch ein „naima“ und eine viertelstündige version von „rise n‘ shine“. funktioniert alles bestens.
es folgen drei projekte im coltrane-kontext, u.a. die reunion von elvin jones und mccoy tyner und ein album von benny golson. und auf den europatourneen übernimmt das holländische timeless-label die dokumentation der sanders-bands für zumindest drei alben. aber dazu in einem nächsten post.
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