Antwort auf: Bob Dylan – The Bootleg Series Vol. 13: Trouble No More (1979-1981)

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Bin auch geplättet. Man muss ja schon sagen, dass in dieser „christlichen Phase“ der Wahnsinn aus allen Ritzen pfeift. Finsterer apokalyptischer, evangelikaler, manichäischer Fundamentalismus von wegen, es gebe „no neutral ground“ zwischen Glaube und Unglaube, Gott oder Teufel, einem von beiden musst du dienen … und „meine sogenannten Freunde“, können die eigentlich ermessen, was am Tag des Jüngsten Gerichts geschieht, wenn die Menschen „Gott anflehen werden, sie umzubringen, aber sie werden nicht in der Lage sein zu sterben“? Schaurig.
Aber gerade diese religiöse Besessenheit ist ja ganz offenbar der Zunder, der Dylans Kreativität als Songschreiber und vor allem als Sänger zum Lodern bringt. „Covenant Woman“, „Saving Grace“, „In The Garden“: hochinspirierte Melodien. Und er singt bei manchen Nummern, als rede er in Zungen! Die beiden Versionen von „When He Returns“ sind jede für sich auf ihre Art umwerfend, da kräht und barmt und predigt einer mit einer Inbrunst, nachgerade einem Fanatismus, als gehe es genau jetzt um alles. Wirklich grandios, kühn, risikofreudig in der Vielschichtigkeit von Phrasierung, Melodieführung, stimmlicher Klanggebung zwischen Raunen und Aufdonnern, Sinnieren und Beschwören.
Diese kompromisslose Entschlossenheit im Zugriff auf das neue Material durchzieht die gesamte Live-Konzeption: Die Band spielt so tight wie selten bei Dylan, offenbar wurde da im Gegensatz zu sonst auch wirklich hart geprobt und am Detail gefeilt. Im Nachhinein ist es spannend, dass die Hinwendung zum christlichen Fundamentalismus einhergeht mit der Aneignung eines neuen Genres, nämlich Gospel. Die Frauen, die singen, als sei der Heilige Geist in sie gefahren; das soulkundige Backing-Ensemble (Spooner Oldham! All die phantastischen Piano- und Orgel-Passagen!) … Diese Genre-Aneignung geht, wie der beigelegte Film zeigt, bis in die Inszenierung, die regelrecht soulreviewmäßig ist: Die Band spielt „Are you ready for Jesus“, und während sie noch tuckert, hängt Dylan die Gitarre ab und verlässt die Bühne wie James Brown oder Solomon Burke. Fehlt bloß noch, dass ein Diener ihm beim Abgang einen Königsmantel umhängt (oder eine Dornenkrone aufdrückt).
Wenn das Hantieren mit krudem Evangelikalismus der Preis ist, den es zu zahlen gilt, um neue Kreativitätsdimensionen zu erschließen, und wenn es tatsächlich nötig sein sollte, seine Seele einem bisweilen geradezu teuflisch streng anmutenden Gott zu verkaufen, um zu solch musikalischer Glut zu gelangen, dann bin ich aber sowas von locker bereit, den ganzen fundamentalistischen Ideologiescheiß zu schlucken. Um‘s mal im biblischen Jargon der Johannes-Apokalypse zu sagen: eine Offenbarung.

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